Die neue Leitlinie zur Behandlung des Restless Legs Syndrom – mit PD Dr. Anna Heidbreder, Neurologische Klinik der Universitätsklinik Innsbruck
Folge #302 im Klinisch Relevant Podcast, Erstveröffentlichung am 21.01.2023

Zusammenfassung
Dieses Transkript behandelt das Restless Legs Syndrom (RLS) und die neue Leitlinie zur Behandlung der Erkrankung. Dr. Anna Heidbreder, Neurologin und Schlafmedizinerin, spricht über die klinische Diagnose und Pathophysiologie des RLS. Die neuen Leitlinien empfehlen eine umfassende Diagnostik bei allen Patienten, um mögliche Ursachen des RLS zu identifizieren und zu behandeln. Die Therapie umfasst nicht-medikamentöse und medikamentöse Maßnahmen, wobei dopaminerge Medikamente als wirksam gelten.
Dr. Heidbreder betont die Bedeutung des Eisenstoffwechsels in der Diagnostik und Behandlung des RLS. Sie empfiehlt einen Ferritin-Wert von über 75 Mikrogramm pro Liter und eine Transferrin-Sättigung von über 20% bei einem Patienten mit RLS. Es gibt verschiedene Differenzialdiagnosen oder Mimics des RLS, die ebenfalls berücksichtigt werden müssen.
Die Therapie des RLS erfordert eine individuelle Herangehensweise, um den bestmöglichen Behandlungsplan für jeden Patienten zu entwickeln. Dopaminerge Medikamente sind eine häufige Behandlung, aber L-Dopa sollte nur diagnostisch verwendet werden, um das Risiko einer Verschlimmerung der Symptome zu vermeiden. Gabapentinoiden und Opioide können ebenfalls verwendet werden, aber Opioide sind nur bei schwerwiegenden Fällen und bei Versagen anderer Medikamente reserviert.
Die nicht-medikamentösen Therapiestrategien für RLS sind begrenzt, aber regelmäßige körperliche Aktivität kann wirksam sein. Patienten sollten sich jedoch bewusst sein, dass körperliche Aktivität kurz vor dem Schlafengehen die Beschwerden verstärken kann. Es gibt auch Therapien wie die spinale Gleichstromstimulation und die Infrarotlicht Therapie, für die es eine Empfehlung in der Leitlinie gibt. Diese Therapien werden jedoch nur an spezialisierten Zentren durchgeführt und sind im Moment nicht weit verbreitet.
Transkript des Interviews
Sprecher
Herzlich willkommen zum Klinisch Relevant Podcast, dem Fortbildungspodcast für alle, die in medizinischen Fachberufen arbeiten. Schön, dass du heute zuhörst. In unserem Podcast möchten wir dir medizinisches Fachwissen vermitteln, das so unmittelbar in deinem klinischen Alltag für deine Patient:innen gebrauchen kannst. Zweimal pro Woche, nämlich dienstags und samstags, veröffentlichen wir neue Folgen- überall da, wo es Podcasts gibt. Schau Dich auch gerne einmal auf unserer Webseite unter www.klinisch-relevant.de um. Denn hier findest du nicht nur Informationen über uns und unser Projekt, sondern auch viele Audio, Video und Livefortbildungen, die du buchen kannst. Wenn du Fragen oder Anregungen hast, melde dich doch gerne unter kontakt@klinisch-relevant.de und nun wünschen wir dir viel Spaß und viele Erkenntnisse bei unserer heutigen Podcastfolge.Heute mit Dr. Anna Heidbreder von der Uniklinik Innsbruck über die neue Leitlinie zur Behandlung des Restless Legs Syndrom.
Kai Gruhn
Liebe Frau Heidbreder, ich begrüße Sie ganz herzlich im Klinisch Relevant Podcast und freue mich, dass Sie sich heute, am Freitagnachmittag, Zeit genommen haben für uns. Das ist sehr freundlich. Ich habe mich sehr auf diesen Podcast gefreut, weil ich als Neurologe ja häufig mit dem „Syndrom der unruhigen Beinen“ zu tun habe. Und wir wollen heute sprechen über die neuen Leitlinien, die es diesbezüglich gibt aus diesem Jahr. Sie sind ja maßgeblich daran beteiligt gewesen, diese neuen Leitlinien aufzustellen. Haben Sie am Anfang Lust, sich kurz einmal vorzustellen und zu erzählen, wo Sie arbeiten und was Sie machen?
Dr. Heidbreder
Ja, vielen Dank für die Einladung. Also, die Freude ist ganz auf meiner Seite, weil ich glaube, die unruhigen Beine sind ein total wichtiges Thema und es kann gar nicht genug Information darüber geben, weil, wie Sie schon sagen, jeder konfrontiert ist damit in seinem klinischen Praxisalltag. Mein Name ist Anna Heidbreder und ich bin Neurologin und Schlafmedizinerin. Meine neurologische Grundausbildung habe ich an der Universitätsklinik in Münster gemacht. Mittlerweile bin ich Oberärztin an der Universitätsklinik in Innsbruck. Auch in der Neurologie, die Teil der Medizinischen Universität Innsbruck ist und mache hier ganz viel Schlafmedizin und bin natürlich mit dem Thema Restless Legs Syndrom viel beschäftigt. Ich bin gleichzeitig auch Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin. Und in dieser Rolle bin ich auch eine der federführenden Autorinnen der Leitlinie für das Restless Legs Syndrom gewesen.
Kai Gruhn
Sie haben meinen vollen Respekt dafür! Wollen wir kurz noch mal vorne einsteigen? Wir müssen ja hier unserer Hörerinnen und Hörer ein bisschen abholen. Ich glaube, dass viele schon vom Restless Legs Syndrom gehört haben. Vielleicht können wir noch mal mit den Symptomen anfangen und vielleicht auch mit den Diagnosekriterien. Können Sie die vielleicht noch mal für uns beschreiben?
Dr. Heidbreder
Ja, das mache ich sehr gerne. Und ich glaube den Kern sagen Sie: es ist eine klinische Diagnose. Also die Diagnose stelle ich in der Anamnese im Patientengespräch. Und es sind Missempfindungen der Beine, die häufig verbunden sind mit einem Bewegungsdrang. Diese Symptome haben so eine zirkadiane Rhythmik, also die sind zumindest zu Beginn der Erkrankung vorwiegend am Abend und in der Nacht vorhanden und werden tatsächlich unter Bewegung besser. Also mit Bewegung bessern sich die Symptome für den Zeitraum der Bewegung zumindest und manchmal auch noch darüber hinaus. Diese Beschwerden müssen wirklich die Patientin/den Patienten belästigen, im Schlaf oder durch die Konsequenz, dass schlecht eingeschlafen wird und schlecht durchgeschlafen wird und dadurch auch Beeinträchtigungen am Tag machen. Was ganz wichtig ist für die Diagnose ist natürlich auch, dass man andere Erkrankungen – sie werden als mimics bezeichnet-, die mit ähnlichen Symptomen einhergehen können davon differenziert. Ich spreche jetzt nicht von wirklichen Differentialdiagnosen, weil man kann Läuse und Flöhe haben. Als Ich kann eine Polyneuropathie und ein Restless Legs Syndrom haben. Sondern ich meine wirklich Mimics, also zum Beispiel so ein „foot tapping“, dass man mit den Füßen so tappt, was möglicherweise den Sitznachbarn stört, aber mich selber vielleicht gar nicht stört.
Dr. Heidbreder
Ja, also das muss man gut unterscheiden. Und das, wie gesagt, kann man am besten im Gespräch. Und wenn man die typische Anamnese vorfindet, also Missempfindungen der Beine mit dem Bewegungsdrang, die insbesondere am Abend und in der Nacht auftreten und durch Bewegung besser werden. Damit ist man schon extrem weit.
Kai Gruhn
Super. Das heißt, wir brauchen in vielen Fällen eigentlich gar keine großartige Zusatzdiagnostik. Aber vielleicht können wir gleich noch mal darauf kommen. Was mich immer schon sehr interessiert hat ist die Frage nch der Pathophysiologie des Restless Legs Syndroms. Vielleicht können wir da auch noch mal kurz daruf eingehen. Oft fragen mich Patienten: „Was ist das denn für eine Erkrankung, dass man zum Abend und in der Nacht unruhige Beine bekommt und dass sie so rumzappeln?“ Was weiß man dazu?
Dr. Heidbreder
Ja, also es gibt viele Dinge, die wir wissen, aber es gibt wahrscheinlich noch viel, viel mehr Dinge, die wir nicht wissen. Was wir auf jeden Fall wissen, ist, dass wir eine genetische Prädisposition haben können, ein Restless Legs Syndrom zu entwickeln. Es gibt da verschiedene Genloci, die eben schon identifiziert wurden. Es gibt aber nicht ein RLS-Gen, wo ich sagen kann, ich nehm Blut ab und guck nach dem RLS-Gen, sondern es sind ganz, ganz viele verschiedene. Und einige, die da identifiziert worden sind, spielen tatsächlich auch eine Rolle bei der Nervenausbildung usw.. Also ganz, ganz interessant und das würde vielleicht auch erklären, warum wir diese sensiblen und motorischen Symptome beim RLS haben. Dann ist ziemlich sicher, dass Eisen eine ganz große Rolle spielt. Einmal, weil wir Eisen in der Produktion für Dopamin brauchen. Sicherlich spielt das eine Rolle, aber möglicherweise spielt Eisen auch auf Zellebene eine Rolle. Es gibt erste Untersuchungen, die zeigen, dass wir auf mitochondrialer Ebene möglicherweise eine Funktionsstörung im Eisen-Transport haben.
Dr. Heidbreder
Außerdem wissen wir, dass Patientinnen und Patienten mit einem Restless Legs Syndrom niedrigere Eisenwerte im Nervenwasser haben. Also Eisen spielt eine Rolle und das wird ja auch mittlerweile sehr erfolgreich therapeutisch eingesetzt. Man fordert bei Patienten mit RLS ja auch einen etwas höheren Eisenspiegel. Das weitere ist: Wir wissen, dass dopaminerge Medikamente sehr gut wirksam sind bei Menschen mit einem Restless Legs Syndrom, so dass auch der Dopaminstoffwechsel sicherlich eine Rolle spielt. Und das sind so die Dinge, die wir wissen. Es gibt aber auch viele Hypothesen. Zur Hypoxie sind wir in der Wissenschaft aber noch aktiv. Also einer Hypoxie in der Peripherie. Das sind aber Dinge, die stecken noch in den Kinderschuhen und die müssen noch weiter untersucht werden. Aber es gibt viele Hypothesen und viele Dinge, die richtungsweisend sind. Aber der Blumenstrauß ist groß und wir können noch nicht auf den Punkt erklären, woher die Erkrankung kommt. Das RLS hat sicherlich multifaktorielle Ursachen.
Kai Gruhn
Bisher war es so, dass man auch von sekundären Restless Legs Syndromen gesprochen hat. Davon war die Rede, wenn man zum Beispiel medikamentös induziert Symptome bekommen hat oder, was ich ja auch häufig sehe, bei Patienten, die eine Niereninsuffizienz haben oder Dialysepatienten sind. Hat sich das geändert? In den neuen Leitlinien würde man das immer noch so differenzieren, oder?
Dr. Heidbreder
Wir würden uns wünschen, dass das so nicht mehr differenziert wird. Und wir raten auch davon ab, primäre und sekundäre RLS-Formen zu unterscheiden. Wie ich schon gesagt habe: man kann Läuse und Flöhe haben. Man kann sowohl eine Niereninsuffizienz als auch haben. Wie ist das Konzept dahinter? Ich hatte gerade schon genetische Prädisposition gesagt. Auf der einen Seite ist die genetische Prädisposition und auf der anderen Seite sind die Komorbiditäten. Zu den Komorbiditäten würde ich jetzt zum Beispiel die Niereninsuffizienz zählen, aber auch zum Beispiel Diabetes mellitus, Polyneuropathien usw. Und je höher der „genetische load“ ist, umso weniger Komorbidität brauche ich, um das Restless Legs Syndrom zum Ausbruch zu bringen. Und andersherum genauso. Je mehr Komorbidität, umso weniger genetische Prädisposition brauche ich, um die Erkrankung zum Ausbruch zu bringen. Aber ganz wichtig ist es, dass das Restless Legs Syndrom trotz Komorbidität als Erkrankung wahrgenommen und ernst genommen wird. Und deswegen eigenständige Erkrankung ist, neben einer komorbiten Erkrankung und somit auch eigenständig behandelt werden muss. Sie haben vollkommen recht, Antidepressiva können das zum Beispiel triggern, das Restless Legs Syndrom, aber trotzdem gehört es dazu, beides zu erkennen und beides auch zu behandeln.
Kai Gruhn
Ja, absolut. Sind das generell alle Antidepressiva, die ein RLS triggern können oder gibt es da welche, die spezifisch eine Rolle spielen?
Dr. Heidbreder
Ja, es gibt natürlich Präparate, die spezifisch eine Rolle spielen. Die Studienlage ist zum Teil ein bisschen widersprüchlich, aber wir wissen für SSRIs, dass das Risiko steigt. Auch für nur Noradrenalin- Serotonin Wiederaufnahme Hemmer wissen wir, dass es sich ungünstig auswirkt. Auch beispielsweise für das Mirtazapin wissen wir, dass es ungünstig ist. Das muss man sich sicherlich individuell angucken und man weiß auf der anderen Seite, dass zum Beispiel das Bupropion oder auch das Trazodon eher günstig sein können.
Kai Gruhn
Sie haben es gerade schon angedeutet. Die Symptomatik, die Erkrankung führt dazu, dass die Patienten maßgeblich in ihrem Alltag eingeschränkt sind. Natürlich, weil sie nicht schlafen können, weil sie quälende Unruhe haben. Aber natürlich auch, weil sie am nächsten Tag einfach erschlagen und müde sind. Können wir noch mal in Richtung Diagnostik schauen und in Richtung Differenzialdiagnostik? Sie haben es ja gerade schon angerissen. Klinisch kann man die Diagnose häufig schon ganz gut festnageln. Sie haben gesagt, dass der Eisenstoffwechsel eine große Rolle spielt. Sie sind Schlafmedizinerin. Ich kann mich noch erinnern, dass die Polysomnographie eine Rolle spielen kann bei der Diagnostik. Welche Rolle spielt das in den Leitlinien? Was würden Sie sagen?
Dr. Heidbreder
Also zur Diagnostik gucke ich mir natürlich erstmal die klinischen Diagnosekriterien an, und dann haben wir gerade über Komorbiditäten gesprochen. Natürlich, auch wenn ich einen Verdacht auf eine komorbide Polyneuropathie habe, muss auch die Abklärung dieser Polyneuropathie genauso mit auf der Karte stehen. Dann zum Weiteren zum Eisen. Für das RLS ist die Betrachtung des Eisenstoffwechsels natürlich extrem wichtig. Und wir gucken daher insbesondere auf das Serum Ferritin und die Transferrin-Sättigung sicherlich als die beiden Hauptmarker. Weil, sie wissen, wenn ich alleine das Eisen im Serum bestimme, dieses tageszeitlichen Schwankungen unterliegt usw. Und das Ferritin gibt mir ja eher eine Auskunft über meinen Eisenspeicher, genauso wie die Transferrin-Sättigung, wie viel Eisen grade im Umsatz ist. Natürlich muss ich das auch im Kontext sehen. Also wenn ich gerade eine schwere Infektion habe, und ich erhöhte Entzündungsparameter habe, muss man natürlich auch wissen, dass das Ferritin ein akute-Phase-Protein ist. Und das kann falsch hoch sein.
Dr. Heidbreder
In der Behandlung hat das eine direkte Konsequenz. Wenn wir niedriges Ferritin haben und die die Werte, die ich mir wünsche für jemanden, der ein Restless Legs Syndrom hat, liegen häufig oberhalb des vom Labor ausgegebenen Standardwertes. Also ich würde mir einen Ferritin-Wert von über 75 Mikrogramm pro Liter und Transferrin-Sättigung von über 20% bei einem Patienten mit einem Restless Legs Syndrom wünschen. Also die Diagnostik hat dann auch gleich eine therapeutische Implikation. Dann hatten Sie noch gefragt zu den zu den Differenzialdiagnosen oder den Mimics. Das kann man sich in den Leitlinien gut angucken. Das ist ganz interessant und ganz spannend, da eine ganze Tabelle drin. Also es geht da zum Beispiel um „positional discomfort“. Es gibt Menschen, die brauchen einfach lange, bis sie die richtige Position gefunden haben, bis sie ihre Beine sortiert haben. Ja, ich glaube, das kennt jeder von sich mal, aber manche Menschen haben das ganz ausgeprägt. Und das ist kein Bewegungsdrang im klassischen Sinne. Die Patienten mit RLS sagen: „meinem Bein, es macht mich verrückt, ich muss aufstehen und die noch mal bewegen oder mich strecken oder machen und tun.“
Dr. Heidbreder
Weitere Mimics bzw. Differentialdiagnosen können dann natürlich Radikulopathien und spinale Engen sein. Es könnte auch eine Varikosis sein, es kann Arthrose, Arthritis sein, aber auch willentliche Bewegung. Man könnte das „Wippen“ nennen. Ich hatte das vorhin schon gesagt. Also das einen selber vielleicht gar nicht, sondern das Umfeld viel mehr stört, wo man dann hört: „jetzt hör mal auf mit den Beinen zu zappeln“. Also es muss muss für mich selber schon störend sein, damit es ein Restless Legs Syndrom ist. Oder eine Tremorerkrankung ist auch eine Differentialdiagnose, das muss man auch auf dem Schirm haben. Und die Patientinnen und Patienten können sehr gut ihre Beschwerden beschreiben und das kann kribbeln, kratzen, drücken und sich wie eingeschnürt anfühlen. Es ist ganz interessant, wie viele Patienten das beschreiben.
Kai Gruhn
Ja, absolut. Das deckt sich mit meiner Erfahrung. Ich habe gerade festgestellt, meine Frage war ein bisschen durcheinander und ein bisschen weit gefasst. Aber Sie haben schon ganz viel beantwortet. Das Letzte, was ich angesprochen hatte, war die Polysomnografie. Welche Rolle hat diese Untersuchung? Spielt sie überhaupt eine Rolle, weil wir noch gar nicht drüber geredet haben?
Dr. Heidbreder
Nein, das ist natürlich ein ganz wichtiges Messinstrument in der Schlafmedizin. Also primär, wenn Sie ein Restless Legs Syndrom haben, brauchen Sie zur Diagnosesicherung nicht unbedingt eine Polysomnografie, weil das eine klinische Diagnose ist. Aber die Polysomnografie kann mir zusätzliche Informationen liefern, weil die Polyographie ermöglicht mir, periodische Beinbewegung im Schlaf zu detektieren. Und 85 % der Menschen, die ein Restless Legs Syndrom haben, haben auch assoziierte periodische Beinbewegungen im Schlaf. Wir haben jetzt gerade schon besprochen, dass es manchmal gar nicht so trivial ist, die Diagnose klinisch zu stellen. Und gerade wenn ich Zweifel daran habe, dass es sich wirklich um ein Restless Legs Syndrom handelt, ist die Polysomnografie sicherlich ein gutes Hilfsmittel, das weiter zu differenzieren. Die Polysomnografie hat natürlich dann auch einen begründeten Ansatz, wenn ich andere komorbide Schlaferkrankungen vermute, zum Beispiel eine schlafbezogene Atmungsstörung oder eine Parasomnie, die zusätzlich auftreten kann beim Restless Legs Syndrom. Und ich unterhalte mich mit dem Patienten über den Schlaf, dann macht das sicherlich auch Sinn. Und bei Therapie-refraktären Restless Legs Syndromen, wo sie wirklich die Standardtherapie rauf und runter ausprobiert haben und eigentlich nichts so richtig wirksam ist, ist die Polysomnografie sicherlich auch dringend indiziert. Um das wirklich zu differenzieren. Einmal zu gucken, ob sie periodische Beinbewegung bei diesen Patienten finden.
Kai Gruhn
Okay. Das heißt, um das zusammenzufassen, müsste man einmal die typische klinische Symptomatik abfragen. Man müsste nach den Komorbiditäten und der bestehenden Medikation schauen, die Sie gerade angesprochen haben und man müsste sich den Eisenstoffwechsel anschauen. Und das mit der Polysomnografie würde man einmal in Klammern setzen. Das kann man machen, wenn man nicht ganz sicher ist. Das muss man aber bei eindeutigen Formen nicht machen, richtig?
Dr. Heidbreder
Für die Diagnosestellung zunächst erst mal nicht. Das kann für atypische Restless Legs Syndrome und Therapie-refraktäre Restless Legs Syndrome hilfreich sein. Und in vielen Fällen bei einfach komorbiden schlafbezogenen Störungen macht es sicherlich auch Sinn.
Kai Gruhn
Dann lassen Sie uns doch bitte zur Therapie übergehen. Wenn Sie jetzt alte Leitlinien und neue Leitlinien vergleichen, was hat sich da konkret geändert? Sie haben es gerade schon angesprochen Die Dopaminmedikamente spielen eine Rolle. Die können unseren Patienten helfen.
Dr. Heidbreder
Also ganz an allererster Stelle steht sicherlich Eisen, Eisen, Eisen. Wir müssen das Eisen im Blick haben und das Eisen gegebenenfalls substituieren. Und das sollte bei einem leichten RLS erst mal das Mittel der allerersten Wahl sein. Dann spielen die Dopaminergika sicherlich eine wichtige Rolle, aber neben diesen spielen auch die Gabapentinoide eine Rolle, und zwar Gabapentin oder Pregabalin. Diese sind derzeit noch „off label“, zeigen als Primärtherapie aber eine gute Wirksamkeit. Dopamin in möglichst moderater, nicht zu hoher Dosierung. Und ganz wichtig ist es wirklich immer zu prüfen: Ist das Restless Legs Syndrom wirklich behandlungsbedürftig? Ja, das ist der allererste Schritt. Und Sie hatten gerade Komorbidität gesagt. Ich würde es noch ergänzen, auch um Medikation, dass man wirklich noch mal auf die Medikation guckt, was ist vielleicht RLS -förderlich und das auch noch mal kritisch hinterfragt und Medikamente gegebenenfalls ab- oder umsetzt.
Kai Gruhn
Ich würde gerne noch mal auf L- Dopa an sich kommen, weil das hat mir so ein bisschen den Boden unter den Füßen weggezogen, als ich die neue Leitlinie gelesen habe. Bis jetzt war meine gängige Herangehensweise schon, dass ich den Patienten L-Dopa aufschreibe, in retardierter oder unretardierter Form. Aber wenn ich die Leitlinien richtig lese, dann ist es so, dass Sie das nicht als regelmäßige Therapie empfehlen. Warum ist das so?
Dr. Heidbreder
Ja, also vielen Dank, dass Sie diese explizite Frage stellen. Ja, also L-Dopa soll nur zu diagnostischen Zwecken herangezogen werden. Also wenn Sie wirklich sich vielleicht nicht ganz sicher sind und dem Patienten mal ein, zwei Tabletten geben, um auszuprobieren, ob es eine Wirksamkeit hat. Und der Grund dafür ist: Wir kennen das Phänomen der Augmentation, also eine dopamininduzierte Verschlechterung der Symptomatik, die zum Teil wirklich katastrophal werden kann für die Patienten. Und wir wissen, dass das Risiko der Augmentation am allergrößten unter Anwendung von Levodopa ist. Und deswegen ist die Empfehlung ganz klar, das nicht mehr als Basis- Medikament zu nehmen, sondern wirklich nur aus diagnostischen Zwecken oder wenn Sie es wirklich im Bedarfsfall ganz selten anwenden.
Kai Gruhn
Und Sie haben es gerade gesagt, dass Sie empfehlen, dass man wirklich eine niedrige Dosierung von Dopaminagonisten wählt. Also wir befinden uns sicherlich nicht in den Dosisbereichen, die man von primären Parkinson-Syndromen kennt, oder? Was ist Ihre Erfahrung was transdermale oder orale Applikationsformen betrifft? Ist das eine reine Frage des Komforts für die Patient:innen oder was wäre eine Entscheidungshilfe aus Ihrer Sicht?
Dr. Heidbreder
Ja, also sicherlich ist es der Komfort des Patienten. Wir wissen aber ja auch, dass die Symptomatik insbesondere am Abend auftritt und die transdermalen Systeme zugelassen sind zur Behandlung des mittelschweren Restless Legs Syndroms, aber letztendlich ist es der Patienten-Komfort um den es geht. Und ja, es gibt keinen richtig rationalen Grund, hier zu sagen: aus medizinischer Sicht, muss man es jetzt transdermal applizieren, sondern man kann auch ganz normal die oral-verfügbaren Medikamente auswählen.
Dr. Heidbreder
Und ich meine, das transdermale System ist auch nicht für jeden wirklich umsetzbar, weil viele Patient:innen schon Hautreaktionen bekommen. Ich meine, man kann natürlich über die kontinuierliche Abgabe des Medikaments diskutieren, aber letztendlich wissen wir ja, dass die zirkadiane Rhythmik der Symptomatik ja gerade deshalb kommt, weil es über den Tag zur Nacht und in die Nacht hinein eher zu einem leichten Abfall von Dopamin kommt und deswegen das Risiko der Symptomatik am Abend einfach steigt.
Kai Gruhn
Wenn wir noch ganz kurz einmal über die Opioide sprechen. Also das ist ja auch noch mal eine Möglichkeit einzusteigen und den Patienten, die vielleicht auf die Medikamente, die sie gerade genannt haben, nicht mehr gut ansprechen, denen damit zu helfen. Was können Sie dazu sagen?
Dr. Heidbreder
Ja, also die Opioide sind sicherlich Mittel der zweiten Wahl. Das ist keine Primärtherapie, sondern tatsächlich dann, wenn andere Medikamente nicht mehr wirksam sind, vor allen Dingen auch im Zustand der Augmentation. Wenn Patienten wirklich Dopamin induziert eine Vorverlagerung der Beschwerden in den Tag haben. Oder eine Ausbreitung der Beschwerden auf andere Körperregionen. Das können die Arme sein, das kann überall sein und dass die Patienten eigentlich Tag und Nacht Beschwerden haben. Und dann ist es ganz wichtig, dass man die Dopamin Therapie am besten ganz ausschleicht, aber zumindest auf eine adäquate Dosierung wieder runterreguliert, die die empfohlene Dosis auf jeden Fall nicht überschreiten sollte. Und das macht es häuifg notwendig, dass auf Opioide umgestellt wird. Alternativ kann man auch auf Gabapentinoide umsteigen, aber das ist häufig nicht ausreichend wirksam.
Kai Gruhn
Gibt es nennenswerte, nicht-medikamentöse Strategien, die helfen können.
Dr. Heidbreder
Ja, leider ist die Datenlage für die nicht medikamentösen Therapiestrategien wirklich sehr, sehr dürftig. Ja, wir wissen, dass körperliche Aktivität sicherlich wirksam sein kann, regelmäßige körperliche Aktivität. Aber da muss man auch eine Einschränkung aussprechen: man sollte diese körperliche Aktivität nicht direkt vor dem Zubettgehen machen, sondern mit einem gewissen Sicherheitsabstand, weil wir auch das Post Exercise- Restless Legs, also die Verstärkung der Beschwerden durch Bewegung, kennen. Viele Patienten berichten auch von kalten Fußgüssen, oder auf dem kalten Boden zu gehen. Hier in Österreich geht man gerne in den Schnee im Winter, wenn die Möglichkeit besteht. Und das hilft vielen Patienten. Aber wie gesagt, die Evidenz ist einfach gering. Wofür es ein bisschen Evidenz gibt, ist die spinale Gleichstromstimulation, die wirksam ist, und die Infrarotlicht Therapie, für die es eine Empfehlung in der Leitlinie gibt. Aber das sind sicherlich Therapien, die wirklich nur an Zentren durchgeführt werden und die im Moment noch nicht ubiquitär verfügbar sind.
Kai Gruhn
Vielen Dank, Frau Heidbreder. Sie haben uns da einen tollen Überblick über die neuen Leitlinien gegeben. Sie haben alle wichtigen Fragen beantwortet und ich finde das Bild, das Sie gerade aufgestellt haben, mit der genetischen Disposition und den Komorbiditäten, die natürlich eine Rolle spielen, bei der Wahrscheinlichkeit des Auftretens der Erkrankung. Vielen Dank, dass Sie sich heute Zeit genommen haben und weiterhin viel Erfolg mit Ihrer Arbeit.
Dr. Heidbreder
Ja, danke Ihnen auch!