Schizophrenie – mit Dr. Jan Dreher
Klinisch Relevant Podcast, Erstveröffentlichung im Juli 2021
Zusammenfassung
In diesem Podcast-Transkript spricht Dr. Jan Dreher, ein Psychiater und Chefarzt in Krefeld, mit Kai über das Thema Schizophrenie. Sie diskutieren die verschiedenen Arten von Schizophrenie und deren Symptome sowie die Herausforderungen bei der Diagnose und Behandlung der Erkrankung. Jan betont die Wichtigkeit von personalisierten Behandlungsplänen und unterstützenden Maßnahmen für Patienten und ihre Familien. Er erklärt auch, dass Schizophrenie eine chronische Erkrankung ist, die herausfordernd zu behandeln ist, aber dass eine frühzeitige Intervention und kontinuierliche Pflege die Ergebnisse verbessern können.
Jan beschreibt auch, wie Schizophrenie diagnostiziert wird und dass es immer noch viel zu lernen gibt über die Ursachen und Mechanismen der Erkrankung. Er betont, dass Drogengebrauch eine Rolle spielen kann und dass Patienten, die mit Drogen aufhören, oft einen besseren Verlauf haben. Die Behandlung von Schizophrenie besteht aus mehreren Komponenten, einschließlich Medikamenten wie Neuroleptika und Psychotherapie.
Dreher spricht auch über typische Verläufe und Symptome von Schizophrenie. Ein Drittel der Patienten hat nur eine Episode und wird nie wieder krank, ein weiteres Drittel hat weitere Krankheitsepisoden, aber ihre sozialen Rollen bleiben erhalten, während das letzte Drittel immer wieder krank wird und ihre sozialen Rollen beeinträchtigt werden. Dreher betont, dass es wichtig ist, die Erkrankung offen zu akzeptieren und sich in eine vernünftige Behandlung zu begeben, um notwendige Unterstützung zu erhalten.
Zusammenfassend gibt das Transkript einen informativen Überblick über Schizophrenie, ihre verschiedenen Arten und Symptome sowie Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten. Es betont die Wichtigkeit von personalisierten Behandlungsplänen, Unterstützung für Patienten und ihre Familien sowie die Bedeutung von frühzeitiger Intervention und kontinuierlicher Pflege. Es bietet auch wertvolle Einblicke in die Herausforderungen bei der Behandlung von Schizophrenie und betont, wie wichtig es ist, die Erkrankung offen zu akzeptieren und notwendige Unterstützung zu erhalten.
Transkript des Interviews
Einleitung
Hallo und herzlich willkommen zum Podcast von Klinisch Relevant, dem Fortbildungspodcast für alle medizinischen Fachberufe. Mein Name ist Kai und ich freue mich sehr, dass du heute eingeschaltet hast. Nur ganz kurz bevor wir einsteigen in den heutigen Podcast, möchte ich dich nochmal auf unsere Online Fortbildungsplattform hinweisen, die du auf unserer Internetseite unter www.klinisch-relevant.de findest. Dort gibt es immer wieder neue Audio- und Videofortbildungen und wir machen regelmäßig, im Moment einmal im Monat, auch live online Fortbildungen. Im heutigen Podcast hörst du ein Interview mit Dr. Jan Dreher, der Chefarzt in einer psychiatrischen Klinik in Krefeld ist, der mit einem Kollegen zusammen den „PsychCast“ produziert, aber auch noch auf anderen Ebenen ganz aktiv ist. Und ja, Jan ist immer ein gern gesehener Gast bei uns im Podcast. Heute haben wir uns wieder ein spannendes Thema ausgedacht, und zwar das Thema Schizophrenie. Wir werden sprechen über die Merkmale der Schizophrenie, was die Klinik betrifft und die typische Altersverteilung, die Therapie usw. usw.. Ich wünsche dir also ganz viel Spaß beim Zuhören.
Kai Gruhn
Lieber Jan, dann freue ich mich, dass du heute wieder Zeit gefunden hast, mit mir zu sprechen. Es ist total heiß draußen und mein Laptop pustete durch die Gegend, versucht sich irgendwie abzukühlen. Also herzlichen Dank, dass du dir bei diesem Wetter Zeit genommen hast. Du warst ja schonmal bei uns im Podcast und hast mit mir gesprochen. Oder wir beide haben gesprochen. Das war ja so eine Koproduktion zum Thema Alkoholfolgeerkrankungen und das gleiche soll heute ja auch so ein bisschen so passieren, wobei ich eher die fragende Rolle haben werde. Wir wollen sprechen über schizophrene Erkrankungen, über das Krankheitsbild Schizophrenie. Und ja, da werde ich dich so ein bisschen löchern zu. Hallo erst mal Jan!
Jan Dreher
Hallo Kai erst mal! Ich werde erst mal sagen Hallo, ich freue mich auch wieder bei euch sein zu können. Wir hatten uns kennengelernt, wie du gesagt hast, bei dieser Folge über Alkoholfolgeerkrankungen und seither habe ich ziemlich viele Episoden vom Klinisch Relevant Podcast gehört und auch viel gelernt. Da wollte ich mich erst mal für bedanken und ich freue mich auch heute wieder dabei zu sein. Ja, Hallo.
Kai Gruhn
Ja, vielen Dank Jan. Und das gleiche kann ich natürlich zurückgeben. Wir sind ja sozusagen befreundeter Podcast. Also ich verfolge das was ihr macht sehr und auch natürlich auch das was Alex macht. Also ja, Kompliment an euch und macht auf jeden Fall weiter. Vielleicht können wir einsteigen, Jan, mit dem Begriff Schizophrenie, weil ich finde, dass der Begriff meiner Erfahrung nach manchmal so ein bisschen Verwirrung stiftet, was das eigentlich bedeutet. Woher kommt der Begriff? Was bedeutet der Begriff? Kannst du da kurz was zu sagen?
Jan Dreher
Ja, will ich gerne machen. Also in der nächsten halben Stunde erwartet die Hörer ja ein kurzer Ritt durch die psychotischen und schizophrenen Krankheitsbilder und wie man wie man diese unterscheidet und was man so tun kann. Und deswegen ist es auch ganz richtig, dass wir erst mal erklären, was eine Schizophrenie ist. Das Wort hilft uns schon mal nicht weiter. Also Schizophrenie heißt übersetzt „gespaltene Seele“ und das lenkt mehr in die Irre, als dass es einem hilft. Also im Mittelalter dachte man vielleicht noch, die Leute seien zweigeteilt zwischen irgendeinem Teufel, der einen besessen hat und einem selbst. Aber eine gespaltene Seele hat ein Schizophrener nicht. Die Schizophrenie ist eine Erkrankung, die mit Wahrnehmungsstörungen einhergeht. Das kann auf allen Sinnesgebieten sein, die auch mit Wahn einhergehen kann und wo man also Denkstörungen hat. Und es gibt Sinnestäuschung auf allen Gebieten, also Hören, Sehen, Schmecken, Fühlen. Wenn man Sinnestäuschung auf dem Gebiet des Hörens hat, dann ist es eben eine akustische Halluzination. Wenn man es beim Sehen hat, ist es eine optische Halluzination. Und bei dem, nicht eigentlichen Sinn, aber beim Denken und Wahrnehmen, da gibt es eben auch die Symptomatik des Wahns, also z.B. die Vorstellung, der KGB verfolgt mich, auch wenn ich nichts sehe oder höre, was mich darauf hinweist. Das ist dann eben ein Wahn. Das sind die Denkstörungen, die schizophrene Patientinnen und Patienten erleben und die machen dann auch das Krankheitsbild aus. Also wenn man davon eine bestimmte Kombination über eine bestimmte Zeit hat, dann ist das eine psychotische Symptomatik und da gibt es verschiedene Ursachen zu, da werden wir gleich bestimmt noch kurz darauf eingehen. Aber die klassische ist eben, dass das die Erkrankung Schizophrenie ist, bei der immer wieder solche Symptome auftreten.
Kai Gruhn
Das heißt, dass der Begriff Schizophrenie eigentlich eher einen historischen Ursprung hat?
Jan Dreher
Der hat einen historischen Ursprung und auch eine negative Belastung. Der Begriff klingt nicht gut, man möchte keine Schizophrenie haben. Auch wenn es das als Krankheit natürlich wirklich gibt. Aber es gibt auch sehr viele Überschneidungen zu anderen Krankheiten. Gerade in den ersten 1-2-3 Phasen dieser Erkrankung weiß man oft gar nicht, ob das jetzt mal eine Schizophrenie werden wird oder ob das vielleicht nur eine drogeninduzierte Psychose war. Denn die Gleichzeitigkeit von Drogenmissbrauch, auch von leichteren Drogen wie Cannabis oder so, und psychotischen Symptomen, die ist schon sehr häufig. Und es gibt ja auch andere psychiatrische Erkrankungen, die solche Sinnestäuschungen machen. Also eine psychotische Depression, eine bipolare Erkrankung und ein paar organische Erkrankungen können auch die gleichen Symptome machen. Das heißt, man weiß wirklich erst, wenn man alle möglichen anderen Krankheiten ausgeschlossen hat und auch wenn eine gewisse Zeit vergangen ist, dass man das nach der ICD-10 Schizophrenie nennen sollte. Wobei ich den Patienten, bei denen ich davon ausgehe, dass das der richtige Diagnosecode ist, auch nicht immer sage „Sie haben eine Schizophrenie“, sondern ich sage dann eher „Sie haben eine psychotische Symptomatik und wir behandeln das jetzt“. Denn der Begriff klingt also nach einer verzweifelten Leidensgeschichte, als die Leidensgeschichte dann im Einzelfall wirklich sein muss.
Kai Gruhn
Du hast es gerade schon angerissen, was es für Formen der Schizophrenie gibt. Auch ICD-10 hast du schon angesprochen. Vielleicht kannst du einmal unterteilen, welche Formen der Erkrankung es häufig gibt. Also die Schizophrenie an sich oder die psychotische Symptomatik, das ist eine chronische Erkrankung, wenn ich dich gerade richtig verstanden habe. Also eine Erkrankung, die einen wahrscheinlich nicht mehr loslässt. Dann hast du gesagt, es gibt drogeninduzierte psychotische Erkrankungen. Ja, was gibt es noch für Formen der Schizophrenie?
Jan Dreher
Also erst mal gibt es bei der normalen Schizophrenie Unterformen. Also die häufigste ist die paranoid-halluzinatorische Schizophrenie. Da hat man eben tatsächlich paranoide Gedanken, also Wahngedanken und/oder Halluzinationen im Vordergrund der Krankheit. Dann gibt es auch die hebephrene Schizophrenie, da ist man eher so undifferenziert und verflacht im Gedankengang. Hebephren heißt jugendlich, das ist so ein übersteigertes, teenagerhaftes „mir ist auch alles egal“- Syndrom. Und dann gibt es noch einige weitere Unterformen, die allerdings klinisch seltener in Erscheinung treten. Das sind Unterformen der Schizophrenie, aber es gibt auch andere Krankheitsbilder, die die gleichen Symptome teilen, beispielsweise die schizoaffektive Erkrankung. Da hat man Symptome einer Schizophrenie, aber auch Symptome einer affektiven Erkrankung, also einer Depression oder einer Manie. Und das sind Patienten, bei denen also sowohl Symptome mit Wahrnehmungsstörungen wie Halluzinationen und Wahn als auch Depressionen oder seltener Manien auftauchen. Also schizoaffektive Störungen sind auch nicht so selten. Dann gibt es die bipolare Erkrankung, die ist ähnlich, allerdings stehen da Depressionen und Manien im Vordergrund. Aber bei den bipolaren Störungen kann man zumindest phasenweise auch psychotische Symptome haben. Das heißt, wenn ein Patient jetzt neu mit psychotischen Symptomen kommt und er hat vielleicht auch eine Manie, dann kann es genauso gut oder sogar besser sein, dass er eigentlich im Moment eine bipolare Erkrankung, gegenwärtig manisch, mit psychotischen Symptomen hat. Und bei der Depression gibt es eben auch manchmal wahnhafte Elemente. Also bei der psychotischen Depression, bei der wahnhaften Depression, da gibt es häufig Verarmungswahn, Versündigungswahn oder Verschuldungswahn. Das sind auch Wahninhalte aber die haben eben nichts mit einer Schizophrenie zu tun. Und dann gibt es noch das Delir beispielsweise, über das wir beim letzten Mal gesprochen hatten. Da gibt es ja auch neben den im Vordergrund stehenden Orientierungsstörungen schon mal optische Halluzinationen, die berühmten Mäuse auf dem Boden. Das sind ja auch Halluzinationen, aber die heißen eben auch nicht, dass man eine Schizophrenie hat. Also die Schizophrenie wird nur durch Symptome diagnostiziert. Aber diese Symptome treten nicht nur bei der Schizophrenie auf, sondern können auch bei anderen Krankheitsbildern auftreten.
Kai Gruhn
Weiß man was zu den Ursachen der Schizophrenie? Wenn wir jetzt nur bei diesem Krankheitsbild bleiben, der klassischen Schizophrenie?
Jan Dreher
Ja, man weiß, dass es eine genetische Komponente gibt und dass diese genetische Komponente auch relativ bedeutsam ist. Das weiß man allein schon dadurch, dass es Familien gibt, die relativ stark betroffen sind von Schizophrenie und wo man auch Erbgänge sehen kann. Aber die Betroffenheit ist jetzt auch nicht so wie bei einer monogenetischen Krankheit, dass jeder Nachkomme auch gleich wieder eine Schizophrenie kriegt, sondern da gibt es auch viele gesunde Kinder von einem oder zwei Schizophreniekranken Elternteilen. Und deswegen hat man sich aber sehr auf die Suche nach Genen gemacht, die Schizophrenien auslösen. Und da kommt raus, dass es sicherlich nicht ein einzelnes Gen ist, dass Shizophrenie verursacht, sondern es gibt ein paar sicher identifizierte Gene und wahrscheinlich eine Vielzahl von Genen, die das verursachen kann. Aber inzwischen ist das Bild so, dass man sich denkt naja, das Gehirn ist halt eine sehr komplexe Struktur, es sind 20.000 Gene dafür zuständig, dass das Gehirn sich richtig ausbildet. Und wenn eine ganze Reihe von diesen Genen verändert ist und es im Aufbau des Gehirns zu so erheblichen Störungen kommt, dass dann eine Psychose auftritt, dann sind eben sehr viele Gene daran beteiligt. Und man kann nicht das eine Gen oder die drei Gene, oder die 20 Gene oder wie viele es sind, die man jetzt schon gefunden hat, gezielt suchen, sondern es ist schon das Zusammenspiel von vielen Genen. Und manche von diesen Genen, das ist auch schon sicher, überschneiden sich auch mit anderen Krankheitsgenen. Es gibt auch Gene, die in Kombination mit drei weiteren veränderten Genen eine Schizophrenie auslösen. Aber wenn man dieses Gen und drei wiederum andere veränderte Gene hat, dann kann man vielleicht eine schizoaffektive Störung kriegen oder sogar eine affektive Störung. Das gibt es auch. Also die Lage ist sehr kompliziert. Vor 30 Jahren, vor 20 Jahren, vor zehn Jahren hatte man noch die Hoffnung, da schnell einen Chip basteln zu können, die Gene zu screenen, dann sagen zu können „du wirst im Alter von 44 Jahren eine Schizophrenie entwickeln“. Das ist aber nicht passiert. Es ist ein polygenetisches Krankheitsbild, aber die Gene spielen eine große Rolle. Eine zweite große Rolle spielen Drogen. Es ist schon so, dass von den Patienten, die man sieht, die mit einer Schizophrenie ins Krankenhaus kommen, wirklich viele, wahrscheinlich mehr als die Hälfte auch einen erheblichen Konsum von Cannabis oder anderen Drogen haben. Auch die Kombination mit Amphetamin und Ecstasy ist häufig. Wobei man da oft Glück hat. Also wenn jemand Ecstasy nimmt oder viel Ecstasy nimmt oder viel Kokain nimmt und dann eine psychotische Episode bekommt, dann nennen wir es eben nicht Schizophrenie, sondern dann ist es eben, wenn er dann psychotisch wird, eine drogeninduzierte psychotische Störung. Die klingt aber auch wieder ab. Und wenn dann der Drogenkonsum aufhört, dann kommt die eben auch nicht wieder. Aber auch bei der Schizophrenie, wenn es später eine Schizophrenie wird, ist es so, dass viele Patienten zu Beginn einen Drogenkonsum haben und dann weiß man nie: Sind die jetzt von dem psychotischen Schub durch Drogen nicht runtergekommen oder hätten die sowieso eine Schizophrenie gekriegt und haben halt am Anfang Drogen konsumiert? Aber die meisten Psychiater fassen das dann für sich so zusammen, dass sie glauben, dass Drogen auch eine Auslösung einer irgendwie latent lauernden Schizophrenie begünstigen können. Und das dritte Element, das nenne ich immer Schicksal. Man kann einfach ohne Drogen und bei unauffälliger Familienanamnese eine Schizophrenie kriegen, wie man auch Asthma bronchiale oder einen Herzinfarkt kriegen kann. Und das ist auch wichtig, weil die Patienten sollen auch nicht immer denken, sie hätten was falsch gemacht und die Eltern sollen sich nicht immer schuldig fühlen. Man kann auch einfach so Pech haben und Schizophrenie kriegen.
Kai Gruhn
Also es gibt keinen Hinweis dafür, dass das soziale Umfeld oder die Erziehung oder sonst irgendwelche Faktoren eine Rolle spielen bei der Entwicklung einer Schizophrenie, ist das richtig?
Jan Dreher
Das ist richtig. Früher dachte man immer, kühle Mütter würden das auslösen. Das war in den Siebzigern, da hieß es immer die „schizophrenogene Mutter“, die würde das auslösen. Das war Bullshit. Und alle Psychiater sollten sich bei allen Müttern, die solche Schuldgefühle entwickelt haben, weil ihnen das irgendjemand erzählt hat, entschuldigen, weil das einfach Quatsch war. Diese Gedanken sind aber schwer aus der Allgemeinbevölkerung rauszukriegen. Also die Vorstellung, die Erziehung sei schuld an so einer Entwicklung, die hört man auch heute noch immer wieder. Die ist aber sicher falsch.
Kai Gruhn
Vielleicht können wir nochmal auf die Symptomatik zu sprechen kommen. Du hast es gerade schon kurz angesprochen, dass es ja vielleicht auch einen zeitlichen Verlauf gibt bei einer chronischen Schizophrenie. Gibt es da sowas wie einen typischen Ablauf, wie die Symptome auftreten? Also wenn man sich jetzt so einen typischen Patienten vorstellt, gibt es das?
Jan Dreher
Ja es gibt schon typische Verläufe. Also es gibt so Verlaufsarten, wo die erste Episode die schlimmste ist und wo die auch ganz dramatisch ist. Die Leute selbst wissen ja noch nichts von ihrer Krankheit, das Umfeld weiß noch nichts von ihrer Erkrankung. Und es tritt ja bei Männern oft so im Alter von 18 bis 21 Jahren erstmalig auf. Bei Frauen ein bisschen später, vielleicht hilft hier Östrogen zum Schutz. Da tritt es oft so ums 25. Lebensjahr auf. Und insgesamt treten die meisten Schizophrenien vor dem 30. Lebensjahr auf. Also wenn es dann später kommt, da muss man sich schon fragen, ob das jetzt wirklich eine Schizophrenie ist. Und die erste Episode bei so einem 18-jährigen Mann ist manchmal so, dass wirklich die Sinnestäuschungen und auch der Wahn ganz ausgeprägt sind und auch das Verhalten ganz aufregend aus der Bahn gerät und auch manchmal gefährlich wird. Und dann ist auch die Krankenhausaufnahme manchmal recht dramatisch und dann wirken aber auch die Medikamente schnell und es kommt dann auch zu einer Beruhigung und dann zu einer zu einer Besserung. Und dann versuche ich den Leuten oft dieses „Drittelmodell“ zu erklären. Also 1/3. Patienten die so starten, haben nur diese eine Episode und dann nie wieder eine weitere. Dann haben sie auch keine Schizophrenie. Aber selbst wenn das so dramatisch startet und man mit Blaulicht und Polizei ins Krankenhaus kommt, kann es sein, dass das die einzige psychotische Episode des Lebens bleibt und man nie wieder krank wird. Wenn die so dramatisch ins Krankenhaus gekommen waren, dann würde ich schon zwei Jahre empfehlen, ein Neuroleptikum zu nehmen. Da gehen wir gleich bestimmt auch noch mal drauf ein. Aber dann kann man es auch irgendwann wieder versuchen abzusetzen. Also 1/3 hat eine Episode und dann nie mehr wieder eine. Und vor allem gibt es natürlich von den Leuten, die eine viel mildere erste Episode haben, auch viele, die nur diese eine Episode haben und dann nie mehr was. Bei einem zweiten Drittel ist es so, dass es im Laufe des Lebens weitere Krankheitsepisoden geben würde, wenn man es nicht behandelte, oder geben wird, die Leute aber ihre sozialen Rollen beibehalten können. Also diese Personen heiraten z.B. trotzdem ihren Traumpartner, machen weiter ihren Beruf als Rechtsanwalt und sind voll arbeitsfähig. Aber es gibt vielleicht alle fünf Jahre eine weitere Krankheitsepisode. Und das ist dann schon der unbehandelte Verlauf. Also mit einer Behandlung kann man eben versuchen das zu unterdrücken, sodass es vielleicht nur alle 15 Jahre eine Krankheitsepisode gibt. Und dann muss man sagen, ist das vielleicht nicht so furchteinflößend, wie der Begriff Schizophrenie so nahelegen würde. Und bei einem dritten Drittel ist es so, das muss man auch ehrlich sagen, dass die Krankheit auch immer mal wieder kommt und auch die sozialen Rollen beeinträchtigt werden. Also wenn dieser Mensch vielleicht ohne die Krankheit einen bestimmten Beruf erlangt hätte und Vorsitzender im, weiß ich nicht, Schützenverein geworden wäre, dann würde er vielleicht diesen Beruf nicht wahrnehmen können und würde vielleicht auch nicht Offizier im Schützenverein werden, sondern er würde das soziale Funktionsniveau irgendwie begrenzt sehen durch die Erkrankung. Dieses Drittelmodell ist nicht schlecht, weil es wirklich wahr ist, weil es auch größenordnungsmäßig meiner Meinung nach halbwegs hinkommt und weil es die ganze Ernsthaftigkeit der Erkrankung nicht verharmlost und weil es aber auch gleichzeitig zeigt, dass man auch Glück haben kann. 2/3 verlieren ja ihre sozialen Rollen nicht. Und im Einzelfall ist es dann meistens so, viele kommen einfach mit Drogen, und denen sagen wir „wenn sie es schaffen mit dem Drogen es schaffen aufzuhören, dann haben sie einen noch viel besseren Verlauf“. Und diejenigen, die es schaffen, die haben auch oft einen noch besseren Verlauf. Und die, die es nicht schaffen, da ist es immer wieder so: „Okay, sie haben wieder Koks genommen, sie sind wieder psychotisch geworden. Jetzt weiß ich immer noch nicht, ob sie mal eine Schizophrenie kriegen. Sie müssen halt mit dem Koksen aufhören, dann geht das mit den Psychosen vielleicht auch weg“. Also da ist auch viel Bewegung im Krankenhaus an Personen, die einfach immer wieder drogeninduziert psychotisch werden.
Kai Gruhn
Kannst du noch was zu der klinischen Symptomatik sagen, die so ein typischer Patient bietet? Also es ist so, dass es immer so phasenweise zu einer akuten Symptomatik kommt mit psychotischen Symptomen?Vielleicht kannst du das noch mal schildern.
Jan Dreher
Ja, es gibt diejenigen, die so einen episodischen Verlauf haben, also zwei Wochen oder zwei Monate lang psychotisch sind und dann ein paar Monate oder Jahre keine Symptome haben. Es gibt auch die, die im Intervall zwischen zwei Krankheitsepisoden zunehmend Einschränkungen erleben. Diese Personen müssen also mit einem Residuum, wie wir das nennen, also mit Einschränkungen, oder auch mit einem zunehmenden Einschränkungszustand leben. Aber die meisten kommen mit phasenhaften Symptomen. Und das häufigste Symptom sind akustische Halluzinationen, also jedenfalls das häufigste Symptom, das ins Krankenhaus führt. Das ist die Wahrnehmungsstörung, die die meisten haben. Und das zweithäufigste ist der Wahn. Also entweder der Wahn, verfolgt zu werden, der Wahn, beobachtet zu werden oder der Wahn, dass sich alle gegen einen verschworen haben. Das ist häufig. Und die beiden gibt es auch in Kombination, also Wahn und Sinnestäuschung wie akustische Halluzinationen. Dann gibt es seltenere Sinnestäuschungen wie die Sinnestäuschungen des Riechens oder des Schmeckens. Und es gibt auch ganz seltene Sinnestäuschung, zum Beispiel, wenn man etwas sieht, was nicht da ist. Das ist nicht typisch für eine Schizophrenie. Also beim Delir ist das ja typisch, wie wir wissen. Das ist auch typisch bei bestimmten Demenzen mit optischen Halluzinationen. Auch bei drogeninduzierten Psychosen ist das typisch und auch bei Hirnschädigungen, also z.B. nach einem Verkehrsunfall mit Gehirnschädigung. Da sind optische Halluzinationen häufig, aber bei der reinen Schizophrenie sind sie selten. Man sieht sie ganz vereinzelt mal bei Patienten, die schon seit zehn Jahren immer wieder schizophrene Symptome haben, die kommen auch mal ohne Drogen und ohne Hirnverletzungen mit optischen Halluzinationen. Ansonsten gilt: Wer optische Halluzinationen schildert, ist bis zum Beweis des Gegenteils verdächtig auf drogeninduzierte Psychose oder Hirnschädigung.
Kai Gruhn
Das ist wirklich spannend, der Hinweis, dass man das so schon mal ein bisschen differenzieren kann. Du wolltest noch was sagen. Entschuldigung, ich hab dich unterbrochen.
Jan Dreher
Ja, also im Krankenhaus sehe ich natürlich eine etwas veränderte Mischung an Patienten. Wir haben schon mehr die Patienten mit dem, was wir Plussymptome nennen, also Symptomen, die Gesunde nicht erleben. Wahn und Halluzinationen haben ja gesunde nicht. Das sind zusätzliche Symptome zu dem, was der Gesunde hat. Das sind Plussymptome. Die Schizophrenie wird aber für die meisten Patienten eher problematisch durch die sogenannten Minussymptome, also Symptome, wo die Patienten was verloren haben, was Gesunde haben. Und das sind Antrieb, Konzentrationsfähigkeit und die Fähigkeit, Pläne umzusetzen und Ziele zu erreichen. Aber ganz oft sind es einfach Konzentrationsstörungen, Antriebsstörungen und so eine Unfähigkeit, Dinge umzusetzen. Die Plussymptome kriegt man mit Neuroleptika meistens gut weg. Ich meine es dauert 2 bis 6 Wochen oder auch mal zwölf Wochen, aber das ist eigentlich keine Kunst, die mit Neuroleptika wegzukriegen. Außer bei den Schwerkranken, da ist auch das eine Kunst, aber normalerweise kriegt man die schon weg, wenn die Patienten die Neuroleptika in der richtigen Dauer und in der richtigen Dosis nehmen. Aber die Minussymptome, die bleiben dann oft noch Wochen und manchmal Monatelang bestehen, hindern die Patienten dann daran, ihre Arbeit wahrzunehmen und führen auch irgendwie zu so einer Beeinträchtigung, die wie bei einer Depression ist. Man kriegt halt nichts mehr hin und hat auch kein Interesse an gar nichts mehr und versumpft dann auch so ein bisschen. Die sind mit Medikamenten sehr viel schlechter zu behandeln. Hier kommt so langsam die Psychotherapie wieder in Mode, die jahrzehntelang irgendwie total vernachlässigt wurde. Es gibt auch Medikamente, die damit werben, dass die gegen diese Symptome ein bisschen besser wirken. Ich glaube, das ist auch so. Trotzdem bleiben das hartnäckige Symptome. Und wenn man Psychiater fragt, dann erzählen die immer ganz begeistert von den Plussymptomen, die sie ja auch gut behandeln können. Die sind ja auch aufregend. Wenn man Patienten fragt, was sie stört, dann sagen die oft: „Ja gut, die paar akustischen Halluzinationen, die ich da manchmal habe, die sind mir noch egal. Mein Problem ist, dass ich einfach nicht acht Stunden arbeiten kann, weil meine Konzentration das nicht zulässt und dass ich auf dem Sofa sitze und nicht mehr der bin, der ich früher war“. Das sind die Negativsymptome. Und die zu behandeln ist gerade bei diesen jungen Menschen sehr wichtig. Ich hatte ja gesagt, Männer und Frauen werden oft unterhalb des 30. Lebensjahres krank und da würde man schon sehr viel beruflich und aber auch privat an Lebensqualität verlieren, wenn diese Negativsymptome ihren freien Lauf bekommen würden. Dann verliert man einfach viel. Und die so zu behandeln, dass der Beruf und das Privatleben doch wieder klappen, das ist dann die größere, aber auch etwas zeitintensivere Herausforderung.
Kai Gruhn
Ich habe noch eine ganz kurze Frage zu der Drittelregel, die du gerade genannt hast. Man kann wahrscheinlich nicht voraussagen, für welchen Teil sozusagen die Drittelregel jetzt anwendbar ist, also ich kann nicht voraussagen, ob das jetzt eine einmalige Episode bleibt oder ob das ganze rezidivierend auftritt, oder?
Jan Dreher
Genau das kann man überhaupt nicht sagen. Und ich darf mit meiner langen Erfahrung sagen: Auch wer super dramatisch in der Klinik aufschlägt bei der ersten Episode und ganz viel Blaulicht verursacht hat, der hat keine besonders hohe Wahrscheinlichkeit, dass er jetzt im schlechtesten Drittel landet. Manchmal läuft das einfach dann drei Wochen dramatisch los und dann sieht man ihn nie mehr wieder. Und irgendwann trifft man diese Personen nach 15 Jahren und dann sagen sie, dass Sie erfolgreiche, selbstständige Unternehmer geworden sind. Das heißt überhaupt nichts. Also man kann das vorher überhaupt nicht sagen. Das ist so.
Kai Gruhn
Können wir dann einmal zur Therapie übergehen? Du hast ja schon gerade ein paar Aspekte gesagt, also dass die Psychotherapie etwas mehr an Bedeutung gewinnt und dass natürlich die Medikamente, die Neuroleptika eine große Rolle spielen, um die Symptomatik zu behandeln. Die Neuroleptika haben ja auch eine große Entwicklung durchgemacht und soweit ich das noch aus meiner Psychiatriezeit weiß, haben jetzt auch unterschiedliche Depotpräparate eine Wirkung gezeigt. Und daran kann ich mich auch noch erinnern, dass es schwierig war, die Patienten dazu zu ermutigen, ihre Medikamente regelmäßig zu nehmen. Ich kann mich erinnern, dass regelmäßig die Patienten wiedergekommen sind mit mit Plussymptomatik, weil sie ihre Medikamente nicht eingenommen haben, was natürlich auch an den Nebenwirkungen von den Medikamenten liegt teilweise. Was wäre denn aus deiner Sicht im Moment der State-of-the-art der Schizophrenie Behandlung? Aus welchen Komponenten besteht die Behandlung?
Jan Dreher
Ja, also die Neuroleptika sind sehr gut geeignet um Plussymptome zu behandeln. Bei plus Symptomen, Wahn und Halluzinationen ist es so, das kann man auch leicht in bildgebenden funktionellen Aufnahmen des Gehirns zeigen, dass tatsächlich der Dopaminstoffwechsel übermäßig stark aktiviert ist. Dopamin braucht man für verschiedene Prozesse im Gehirn, aber die Wahrnehmung von Bedeutungen wird mit Dopamin geregelt. Und wenn zu viel Dopamin im Gehirn ist, dann treten Halluzinationen auf, das total unstrittig. Und die Neuroleptika reduzieren die Dopaminaktivität entweder, indem sie den Rezeptor direkt blockieren, wie das gute alte Haldol, oder indem sie Regelkreise, die sehr eng damit verbunden sind, modulieren. Und dann gibt es auch weniger Dopaminaktivität. Das führt dazu, dass die Plussymptome oft rasch abklingen. Also so nach zehn Tagen fängt es meistens an und nach vier Wochen hat man oft die Plussymptome im Griff. Wenn man dann weiter Dopamin so stark blockiert, also man muss schon 80 % der Aktivität blockieren, um so einen Krankheitsschub einzufangen, dann treten allerdings regelmäßig Nebenwirkungen auf. Also Dopamin braucht man auch für Motivation und Antrieb. Und wenn das weg ist, dann kriegt man schon allein vom Medikament ein amotivationales Syndrom. Es ist auch notwendig für die Bewegung, wie wir von Morbus Parkinson wissen. Also wenn dopaminproduzierende Neurone geschädigt sind, dann kriegt man Parkinson. Das Gleiche kann man natürlich machen, indem man zu viel Neuroleptikum gibt oder auch nur die antipsychotisch wirksame Dosis. Auch das kann schon Bewegungsstörungen machen. Wir nennen das dann EPMS, das ist eine Art medikamenteninduzierter Parkinsonismus. Das sind eben Nebenwirkungen, die relativ häufig auftreten in dieser Dosis. Und wenn die Plussymptome weg sind, dann gibt es eben Patienten, die sagen „dann brauche ich auch kein Neuroleptikum mehr“ und die Psychiater kriegen dann sofort Schreckkrämpfe und denken „ja, aber wenn der das absetzt, dann kriegt er wieder eine Episode“. Das stimmt auch oft, also man muss dann was zur Rezidivprophylaxe geben, damit nicht die nächste psychotische Episode kommt. Aber hier muss die Dosis oft etwas niedriger sein und man sucht dann schon ein Medikament, das verträglich ist, das diese Nebenwirkungen nach Möglichkeit nicht macht, in einer Dosis, die verträglich ist, die diese Nebenwirkungen nicht macht. Denn mit diesen Nebenwirkungen ist nur eine Frage der Zeit, bis die meisten Patienten es absetzen. Das heißt, da muss man schon mal was ändern. Und dann ist es auch so: Gegen die Plussymptome helfen die Medikamente also ganz gut, aber wenn die abgeklungen sind, dann muss man für die Rezidivprophylaxe vielleicht ein verträglicheres Neuroleptikum suchen und auch eine Dosis, die diese Nebenwirkungen nicht mehr macht. Und gegen die Symptome helfen diese Medikamente eben nicht so gut. Man kann zwar versuchen, bestimmte Neuroleptika zu geben, die so ein bisschen eigene Dopaminaktivierung verursachen, man kann es auch mit Antidepressiva versuchen, aber so richtig gut funktionieren die nicht und die Patienten spüren dann nicht mehr so einen Benefit von den Medikamenten und dann setzen sie sie eben auch oft ab. In dieser Phase kommt es dann dazu, dass Selbsthilfegruppen und die Unterstützung im täglichen Leben eine Rolle spielen. Manche brauchen da einfach betreutes Wohnen und berufliche Wiedereingliederung und eben auch Psychotherapie. Psychotherapie war vor 30 Jahren überhaupt nicht modern in der Schizophrenietherapie, weil es immer hieß, den Wahn kann man durch Reden nicht ausreden. Das stimmt auch. Aber der Wahn ist auch nur die Spitze des Eisbergs und die geht meistens schnell weg. Das Leben wieder normal leben zu können, da kann man schon viel Unterstützung brauchen und da spielt dann Psychotherapie wieder eine größere Rolle. Und bestimmte Sachen, wie Drogenabstinent sein oder bleiben und wieder dem normalen Leben nachgehen, Sport und Bewegung machen, sich sozial nicht mehr zurückziehen- das spielt in dieser Phase der Therapie dann auch eine große Rolle.
Kai Gruhn
Könntest du noch mal sagen, welche Neuroleptika jetzt aus deiner Erfahrung eine große Rolle spielen in der Behandlung der Schizophrenie?
Jan Dreher
Es gibt Medikamente, die direkt am Dopaminstoffwechsel ansetzen, wie die alten Medikamente wie Haloperidol und Benperidol. Die wirken schnell und sicher, haben aber auch häufiger Nebenwirkungen. Dann gibt es Risperidon, das ist eines der am häufigsten eingesetzten Medikamente. Das wirkt zum Teil direkt und zum Teil indirekt. Risperidon macht in niedrigeren Dosierungen bis 4mg oft keine Bewegungsstörungen, bei höheren Dosierungen fängt das aber auch häufiger an. Dann gibt es Medikamente wie Olanzapin, die wirken indirekter auf den Dopaminstoffwechsel. Die machen meistens keine Bewegungsstörung, können aber Gewichtszunahme verursachen. Dann gibt es die neueren Medikamente, wobei es mit Amisulprid immer schon Medikamente gab, die auch ein bisschen Dopamin aktivieren, je nach Dosis. Da gibt es jetzt Aripripazol und Cariprazin, die auch ein bisschen gegen die Negativsymptomatik wirken sollen und das wahrscheinlich auch tun. Und schließlich gibt es noch die Depotpräparate, die man alle zwei Wochen oder vier Wochen oder drei Monate spritzt als Injektion und die dann einen Blutspiegel aufbauen, wobei die von den Nebenwirkungen und vom Wirkungsprofil her genauso sind wie die vergleichbaren Tabletten dazu. Aber man muss sie eben nicht täglich nehmen. Für Patienten, die die tägliche Tabletteneinnahme vergessen, ist das eine gute Alternative.
Kai Gruhn
Ich weiß aber vorher natürlich nicht, welches Medikament jetzt besonders gut für meinen Patienten geeignet ist, richtig? Ich bin so ein bisschen darauf angewiesen, dass ich das ausprobieren muss, oder? Wie gehst du da vor?
Jan Dreher
Ja, ich bin komplett angewiesen, das ausprobieren zu müssen. Ich kann vorher fragen: „Welche Nebenwirkungen fänden Sie am schlimmsten?“. Also wenn mir eine junge Frau sagt, die schlimmste Nebenwirkung würde für sie eine Gewichtszunahme sein, dann muss ich es mit Olanzapin eigentlich gar nicht erst versuchen. Wobei es auch viele Personen gibt, die unter Olanzapin keine Gewichtszunahme haben. Aber ich muss das Medikament und die Dosis ausprobieren. Es gibt ein paar genetische Tests um zu gucken, welche Medikamente bestimmt nicht vertragen werden. Aber das hat sich in Deutschland noch nicht durchgesetzt. Es ist auch nicht so richtig nötig. Man kann einfach mal eine milde Dosis geben und gucken, wie sich der Blutspiegel entwickelt. Und wenn der Blutspiegel normal ist, dann braucht man keine genetische Untersuchung. Erst wenn der Blutspiegel sich total komisch verhält, sind genetische Untersuchungen hilfreich. Man kommt aber meistens ohne aus. Das heißt, das hilft einem auch nicht bei der Auswahl des Medikaments. Man muss mit etwas anfangen, gucken, wie es vertragen wird, gucken, wie es wirkt und dann weiterhin schauen, ob das Verhältnis aus Wirkung und Nebenwirkung gut ist. Und manchmal muss man es ein bisschen ausprobieren.
Kai Gruhn
Für die Negativsymptomatik, gibt es da noch andere Stoffgruppen, die man probieren kann? Also spielen zum Beispiel Antidepressiva eine Rolle?
Jan Dreher
Ja, das wird immer wieder versucht. Ich versuche das auch immer mal wieder mit unterschiedlichem Erfolg. Manchmal hat man den Eindruck, es bringt was. Überwiegend bringt es nicht besonders viel, schätze ich mal. Und man muss vor allem auch gucken, wenn jemand eine depressive Symptomatik zeigt oder eine Antriebsminderung, ist das vielleicht nur eine Nebenwirkung der Dopaminblockade. Denn wenn ich Dopamin blockiere mit dem Neuroleptikum, das ich da hauptsächlich gebe, dann ist es ja auch so, dass das auf die Motivation schlägt und auf den Antrieb. Und dann kann ich so viel Antidepressivum geben, wie ich will, das bringt dann auch nichts mehr. Also manchmal hilft es, das Neuroleptikum zu reduzieren oder umzustellen, um da die Medikamentennebenwirkungen zu reduzieren. Aber dann gibt es natürlich viele Patienten, die trotzdem noch Minussymptome haben und da kann man das versuchen. Ich mache das auch immer mal wieder, mit unterschiedlichem Erfolg, aber nie mit großem Erfolg. Also Tabletten wirken gegen Negativsymptome nie so richtig gut.
Kai Gruhn
Und wie muss ich mir das vorstellen, was ist sozusagen Kern der Psychotherapie? Was versucht man mit dem Patienten da zu erarbeiten? Also geht es da so ein bisschen um den Alltag und die Alltagsbewältigung? Oder welche Ansätze werden da benutzt, um den Patienten zu helfen?
Jan Dreher
Das hängt sehr von der Phase ab. Also wie bei jeder chronischen Erkrankung gibt es ja außer der Erkrankung noch ganz viele Auswirkungen, die die Erkrankung auf das Leben hat. Beruf, Privatleben, Krankheitsakzeptanz- das sind ja bei jeder chronischen Erkrankung ganz verschiedene Probleme, wo man auch über die Jahre ganz unterschiedliche Hauptbaustellen hat. Also wenn wir im Krankenhaus die Patienten mit einer neuen Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis sehen, dann ist überhaupt Krankheitsakzeptanz das wichtigste Thema. Die meisten Patienten haben damit erstmal monatelang zu kämpfen, manche auch viel länger. Und dann versuchen wir erstmal zu erklären: „Okay, vielleicht glauben Sie uns das auch nicht so richtig, aber nehmen Sie schon mal dieses Neuroleptikum weiter, das würde schon mal viel helfen“. Das ist eines der ersten Themen. Und dann gibt es natürlich weitere Themen, also zum Beispiel Drogenabstinenz ist bei vielen Patienten ein Thema. Dann gibt es das Thema Stressmanagement. Wir wissen, dass Schichtdienst und bestimmte, sehr unnatürliche Berufe schlecht sein können für die Erkrankung. Da muss man gucken: „welches Stressmanagement kann ich machen, um mich vielleicht selbst ein bisschen zu schonen?“. Das ist bei vielen chronischen Erkrankungen hilfreich und bei der Schizophrenie ist es auch hilfreich. Dann gibt es die Informationen über Frühsymptome eines erneuten Ausbruchs einer schizophrenen Episode oder einer psychotischen Episode. Das ist auch sehr hilfreich, denn je früher man so eine Episode identifiziert, desto eher kann man dann doch zum Psychiater gehen und vielleicht mal die Dosis des Neuroleptikums erhöhen. Ein Dauerthema ist, wie ich diese Medikamente handhabe. Die meisten Patienten möchten sie frühzeitiger absetzen, als die Psychiater. Da muss man irgendwie eine gemeinsame Strategie diskutieren. Am Schluss entscheidet es natürlich der Patient, aber wir sind immer froh, wenn er uns vorher wenigstens mal sagt, was er denkt und dann können wir noch ein bisschen beraten. Denn es ist nicht so, dass man für den Rest des Lebens Neuroleptika nehmen muss, die einem irgendwie die ganze Lebensqualität rauben, aber sie zu früh abzusetzen ist erfahrungsgemäß auch Murks. Das ist ein häufiges Thema. Und dann tatsächlich auch der Umgang mit den Einschränkungen, der Umgang mit den Negativsymptomen, der Umgang mit der Traurigkeit, krank zu sein, der Umgang mit der Traurigkeit, einen Job verloren zu haben oder eine Partnerschaft eingebüßt zu haben. Das sind alles Themen, die man in der Psychotherapie dann auch gut besprechen kann.
Kai Gruhn
Was ich vorhin vergessen habe zu fragen ist: Wie sieht es eigentlich aus mit den diagnostischen Schritten bei einem Patienten, der das erste Mal auffällig wird mit einer psychotischen Symptomatik, wo wir denken, dass es eine Schizophrenie sein könnte? Gibt es so ein Workup, dass man durchführen sollte? Also verdienen solche Patienten dann auch zum Beispiel eine Bildgebung vom Kopf oder eine Labordiagnostik? Wie machst du das in deiner Klinik?
Jan Dreher
Ja, also bei der erstmaligen psychotischen Episode machen wir immer ein MRT vom Gehirn, um eine organische Erkrankung, die sich dort zeigen würde, auszuschließen. Wir machen immer ein Drogenscreening und wir machen natürlich ein ausgedehnteres Laborprofil, wo zumindest Vitaminmangelzustände und Entzündungszeichen auffallen würden. Und wenn diese Bereiche unauffällig sind, dann hoffen wir mal, dass nichts dramatisches der ganzen Sache zugrunde liegt. Das sind aber die Sachen, die wir regelmäßig bei einer Erstmanifestation machen. Wir machen das auch, wenn jemand sehr spät erkrankt und das Ganze irgendwie untypisch wirkt. Auch wenn er vielleicht vor 15 Jahren schon mal eine Manifestation hatte, bei einer zweiten Manifestation im 45. Lebensjahr würden wir das auch machen. Und wenn es noch andere Hinweise gibt auf andere Erkrankungen, also wenn er beispielsweise schonmal Symptome hatte, die mit einer MS oder so vereinbar sind, dann würde man da natürlich auch besonders genau gucken. Denn all diese Symptome können auch mal bei anderen Erkrankungen vorübergehend auftreten. Eine Liquorpunktion macht man nicht routinemäßig, wenn es keinen Hinweis gibt auf eine andere Erkrankung, die man dadurch finden würde. Aber ein MRT und ein Drogenscreening und das Labor, das sind die Routine Diagnostikmaßnahmen.
Kai Gruhn
Die Erkrankung ist ja sehr stigmatisierend, muss man sagen. Du hast es ja selber gesagt, es sind häufig junge Menschen, die ganz am Anfang ihres Lebens und ihrer beruflichen Karriere stehen. Und da gehen viele Sachen kaputt. Was denkst du, was die Gesellschaft und auch das Umfeld tun kann, um die Betroffenen zu unterstützen?
Jan Dreher
Ja, das ist so, wie du sagst. Die Psychiatrie ist ja ein bisschen aus dem Schatten hervor gestiegen. Und wenn jemand als Arbeitnehmer beispielsweise eine Depression hat und man das Burnout nennen kann, dann kann er seinem Arbeitgeber schon sagen. Die meisten Arbeitgeber fallen dann auch gar nicht mehr hinten über und denken an Kündigung, sondern sowas wie stufenweise Wiedereingliederung bei einer Depression kriegen inzwischen die meisten Arbeitgeber hin. Bei einer Psychose ist das anders. Da fallen immer noch alle Arbeitgeber hinten über und denken als erstes: „wie kriegt den jetzt gekündigt, bevor der den Kündigungsschutz hat?“. Das muss man doch einfach mal so sagen, das ist wirklich bei den meisten so. Außer bei den großen Firmen, die wirklich professionelle Personalabteilung haben, da ist das nicht so. Aber es ist ja auch so, eine Psychose kann auch den Betrieb manchmal ganz schön durcheinander bringen. Und das sind manchmal auch berechtigte Sorgen. Die Arbeitsfähigkeit ist auch häufiger dauerhaft eingeschränkt, wie wir eben mit der Drittelregel genannt haben. Das heißt, die Sache ist ja auch ernst und wir versuchen vor allem bei diesen jungen Leuten die Ausbildung oder den Beruf zu schützen. Und da muss man eben gucken, wie man das machen kann. Also bei ganz kleinen Betrieben mit fünf Mitarbeitern ist es manchmal das Beste, man hält die Episode irgendwie geheim und sagt, der Patient war zwei Wochen krank aber ich muss Ihnen ja nicht sagen, woran und dann hat er noch zwei Wochen Urlaub gehabt. Es kann das Klügste sein kein großes Aufhebens zu machen. Bei größeren Firmen, die irgendwie professionell mit solchen Krankheiten umgehen, kann es auch mal sinnvoll sein, mit offenen Karten zu spielen und der Mitarbeiter kann dann z.B. sagen: „Ich befinde mich aber in guter Behandlung und wenn die Erkrankung wieder auftritt, müssen wir uns Gedanken machen, aber wenn sie nicht wieder auftritt, kann ich ein guter Mitarbeiter bleiben“. Und es gibt auch viele Personalabteilungen, die so was dann ganz professionell unterstützen. Aber da gibt es keine generelle Regelung für. Es ist schon so, dass wir alles tun, um zu unterstützen, dass ein Beruf nicht verloren wird, weil das gerade in dieser Phase so viel wert ist. Aber welcher Weg da der beste ist, das hängt sehr vom Einzelfall ab und wir gehen da auch Unterschiedliche Wege, je nachdem, wie die Lage ist. Und gesellschaftlich gibt es größere Ängste davor. Es gibt immer die Überlegung, dass Gewalttaten häufiger durchgeführt werden von schizophrenen Patienten. Und man liest ja auch immer mal wieder in der Zeitung: „Hier fand eine Gewalttat statt und die wurde von einem psychisch Kranken begangen“. Und da gibt es ja auch eine ziemlich differenzierte Diskussion. Es ist schon so, dass von diesen Gewalttaten ja auch manche von wahnhaften Menschen durchgeführt werden. Es ist nicht so, dass jetzt alle psychisch Kranken gefährlicher sind. Aber bestimmte wahnhafte Störungen stehen da schon im berechtigten Verdacht, auch häufiger mal mit einer Gewalttat einher zu gehen oder dass das schon mal vorkommt. Das muss man ehrlich sehen und das wird immer dazu führen, dass diese Angst auch nicht ganz abklingt. Der normale schizophrene Patient ist sicherlich ungefährlich, aber man müsste darüber schon differenziert sprechen können, um da ein bisschen die Sorgen auszuräumen. Aber da es bei bestimmten wahnhaften Erkrankungen auch also öffentlichkeitswirksame Straftaten immer wieder geben wird, wird diese Angst auch nie aufhören. Das ist auch völlig klar.
Kai Gruhn
Ja lieber Jan. Das wären jetzt erst mal so meine Fragen. Vielen Dank dafür, ich habe viele Sachen verstanden. Denkst du, dass ich irgendwas wichtiges vergessen habe? Also wir haben die Definition des Begriffes besprochen, wir haben die unterschiedlichen Formen, die es gibt, besprochen, wir haben die Symptomatik besprochen mit Plus- und Minussymptomatik. Wir haben über die Medikation gesprochen, wir haben über die Prognose gesprochen. Ich finde, das das ein ziemlich guter Rundumschlag war.
Jan Dreher
Das stimmt, also für einen Rundumschlag war es ganz gut. Wir haben noch nicht das Leid der Angehörigen angesprochen. Das verdient wirklich noch mal ein paar Worte, finde ich. Also ich behandele Patienten, aber ich behandele auch immer die ganzen Familien. Jedenfalls wenn man es gut macht, dann sieht man die Familien auch. Und ich weiß, wie viel Leid das nicht nur bei der Patientin und dem Patienten verursacht, sondern auch in der Familie und wie schwer es manchmal ist, dabei zu bleiben und nicht den Kranken aufzugeben und wie hilfreich das ist, wenn die Familie weiter unterstützt. Also und was ich versucht habe durchgehend zu sagen, ist, wenn man in guter Behandlung bleibt, dann sind all diese gefährlichen Sachen auch gut behandelbar. Also der Wahn, die Halluzinationen, die sind gut behandelbar. In Bezug auf Straftaten muss man mit einer neuroleptischen Behandlung wenig Sorge haben, dass irgendwas dramatisches passiert. Also wenn man eine Psychose hat, dann ist es meiner Meinung nach das Beste, die Sache offen zu sehen und zu akzeptieren und aber auch tatsächlich sich in eine vernünftige Behandlung zu begeben. Dann ist vieles von dem, was einem Angst machen kann, ganz gut unter Kontrolle zu kriegen. Aber es wird auch immer wieder Phasen geben, wo man echt Leid durchlebt. Sonst haben wir für einen Rundumschlag uns eigentlich gut geschlagen.
Kai Gruhn
Das hast du sehr gut gemacht. Vielen Dank, Jan.
Jan Dreher
Vielen Dank!
Kai Gruhn
Also, spannendes Krankheitsbild und ich kann mich gut erinnern an meine Psychiatriezeit. Das war häufig dramatisch, aber dann auch schnell abklingend. Das hat als Behandler dann auch Spaß gemacht, in Anführungszeichen, den Leuten schnell helfen zu können. Aber ja, ich meine die Erkrankung geht häufig ja dann doch weiter und ich habe auch gesehen, wie viel Bedeutung das einfach hat für das normale Leben, also für die sozialen Kontakte, für den Beruf. Und ich kann mich auch erinnern, dass ich mit dem sozialpsychiatrischen Dienst das eine oder andere Mal rausgefahren bin zu dem Patienten und da auch dramatische Szenen gesehen habe. Ja, Jan, also vielen, vielen Dank. Es hat wie immer Spaß gemacht. Du bist ein sehr guter, eloquenter Gesprächspartner und ich hoffe, dass wir uns noch mal widersprechen. Also vielen, vielen Dank.
Jan Dreher
Das machen wir. Vielen Dank. Es hat mir auch Spaß gemacht. Vielen Dank an die Zuhörer, dass ihr dabei geblieben seid. Schreibt mal eure Kommentare in die beiden Podcast Feeds, die das jetzt ja betreibt und bis zum nächsten Mal.
Kai Gruhn
Über eure Kommentare freuen uns immer. Vielen Dank für eure Rückmeldungen. Ja, und bis zum nächsten Mal. Vielen Dank, dass du heute wieder zugehört hast. Ich hoffe, dass es dir gut gefallen hat und dass du viel für deinen klinischen Alltag mitnehmen konntest. Das Thema Schizophrenie wird ja eigentlich jeden klinisch tätigen Kollegen früher oder später zumindest berühren. Wenn dir das Interview gefallen hat, dann teile es gerne mit deinen Kolleginnen und Kollegen, damit auch andere davon profitieren können. Und du darfst uns natürlich auch gerne eine positive Bewertung bei Apple Podcasts hinterlassen. Wenn du Lust hast mitzumachen bei Klinisch Relevant, dann bist du ganz herzlich eingeladen dich zu melden unter kontakt@klinisch-relevant.de. Vielleicht gibt es ein Thema, das du ganz besonders spannend findest, wo du dich besonders gut auskennst. Zudem, wie immer an dieser Stelle der Hinweis auf unsere Social-Media Kanäle und auf unseren Newsletter, den du abonnieren kannst auf unserer Internetseite unter www.klinisch-relevant.de. Und bitte checke auch regelmäßig unsere Internetseite, damit du den nächsten Live Online Fortbildungstermin nicht verpasst. Ende Juli wird es eine Live Fortbildung zum Thema Demenz geben. Aber wie gesagt, da wirst du auf allen unseren Kanälen informiert werden. Ich wünsche dir jetzt noch eine gute Zeit und freue mich, wenn du beim nächsten Mal wieder einschaltest. Beste Grüße, mach’s gut, bleib gesund. Ciao.