Katastrophen-Medizin in der Türkei und Syrien: Im Gespräch mit Dr. med. Peter Kaup
Klinisch Relevant Podcast, Erstveröffentlichung am 25.02.2023
Zusammenfassung
Am 6.02.2023 erschütterte ein schweres Erdbeben der Stärke 7,7 den Süden der Türkei und den Nordwesten Syriens. Zehntausende Menschen starben.
Binnen 24 Stunden war Dr. med. Peter Kaup, Allgemeinmediziner, Anästhesist und Notfallmediziner aus Oberhausen, mit einem Team der ISAR Germany (International Search and Rescue) vor Ort um zu helfen.
Im Gespräch mit dem Chirurgen Prof. Till Hasenberg berichtet Dr. Kaup von seinen Erlebnissen vor Ort. Zudem erklärt er in diesem Podcast, wie so ein internationaler Rettungseinsatz organisiert ist und wie das Team ausgerüstet ist. Nicht zuletzt thematisiert er auch die medizinischen Herausforderungen, mit denen die Helfer konfrontiert wurden.
Transkript des Interviews
Intro
Herzlich Willkommen bei Klinisch Relevant, Deinem Wissenspartner für das Gesundheitswesen. Zweimal pro Woche, nämlich dienstags und samstags, versorgen wir Dich mit unserem Podcast und bringen Dir Fachwissen in Deine klinische Praxis. Weitere Informationen und Angebote findest du auf unserer Webseite klinisch–relevant.de. Viel Spaß beim Zuhören. Heute hörst du Professor Till Hasenberg im Gespräch mit Dr. Peter Kaup über seinen ärztlichen Einsatz in der Erdbebenregion in der Türkei und in Syrien.
Till Hasenberg
Herzlich willkommen zu Klinisch Relevant. Ich freue mich, dass Ihr wieder dabei seid. Heute haben wir ein ganz aktuelles Thema, das uns alle in den letzten Tagen bewegt hat, auch wenn es unseren klinischen Alltag nur sehr bedingt berührt. Am 6. Februar hat es ein verheerendes Erdbeben in der Türkei und Syrien gegeben und schon am gleichen Abend habe ich von meinem Freund und Kollegen Dr. Peter Kaup ein kurzes Video erhalten, das ihn bei der Vorbereitung für einen Rettungseinsatz im Katastrophengebiet zeigte. Daher nutzen wir heute die Chance, um nach seiner Rückkehr Einblicke in die herausfordernde Arbeit bei einer solchen Naturkatastrophe zu bekommen. Lieber Peter, vielen Dank, dass du heute für uns Zeit hast. Vielleicht stellst du dich einfach mal den Zuhörern vor und berichtest ein wenig über dich und deine Arbeit.
Peter Kaup
Ja, schönen guten Abend zusammen. Ich bin niedergelassener Allgemeinarzt in Oberhausen Sterkrade, in meinem Vorleben Anästhesist und Notfallmediziner. Die Notfallmedizin betreibe ich immer noch ehrenamtlich weiter, vor allem auch bei I.S.A.R. Germany. Bei der Organisation bin ich seit 2003, also seit der Gründung, aktives Mitglied. Und ja, das Besondere daran ist eben, dass wir schnell in den Einsatz kommen und eben auch autark sind.
Till Hasenberg
Peter, vielleicht erzählst Du ein bisschen was zu I.S.A.R.. Wofür steht die Abkürzung und was für eine Struktur kann man sich dahinter vorstellen?
Peter Kaup
I.S.A.R. steht für International Search and Rescue und wir haben zwei organisatorische Teile. Einmal ein Urban Search and Rescue Team, also eine Einheit, die nach Erdbeben in Städten, in Katastrophengebieten nach Verschütteten sucht und bei der Rettung hilft, beziehungsweise selber rettet. Und wir haben ein sogenanntes UMT, Urgent Medical Team, das, wenn ein solches angefordert wird, vor Ort sozusagen ein Feldlazarett betreibt. Wir sind eine NGO, also Non Government Organization, alles Neudeutsch. Was bedeutet, wir sind ehrenamtlich unterwegs. Wir bekommen kein Geld dafür und wir brauchen Spenden, um halt diese Einsätze finanzieren zu können, weil die Flüge und die Fahrten und auch die Dinge, die wir mitnehmen, kriegen wir natürlich nicht umsonst.
Till Hasenberg
Ihr müsst ja im Katastrophen-Fall wirklich sofort starten. Welche Strukturen haltet ihr vor, damit ihr sofort informiert werdet und möglichst schnell wisst, ob so eine Situation wirklich was für euch ist?
Peter Kaup
Ja, also durch unser Lagezentrum wird eigentlich permanent bei jeder Erdbewegung geguckt. Ist das ein größeres Erdbeben oder ist das keins? Wir schauen nicht selbst nach, wo wir denken, dass wir hingehen können, sondern wir müssen angefordert werden. Wir sind ein zertifiziertes Team, also man muss sich alle fünf Jahre auch einer großen Übung und Überprüfung stellen. Und das war in dem Falle so, um vier Uhr war das Erdbeben, um sechs Uhr kam die internationale Anforderung und damit der Alarm an unser Team. Ja und bei Erdbeben ist es halt so, wir wollen ja Verschüttete retten, also die, die die geringsten Überlebenschancen haben, und nicht vorrangig die, die vielleicht in einer Garage oder Höhle eingeschlossen sind, wo sie Zugang zu Lebensmitteln haben, sondern die, die komplett verschüttet sind und da läuft die Zeit. Und deswegen ist es halt extrem wichtig, sehr schnell zu sein, also die Tasche muss gepackt sein. Man kriegt die Alarmierung, dann braucht man Kolleginnen und Kollegen wie dich, denen man sagen kann, ich bin weg und die das wissen und unterstützen, damit ich von meinen Aufgaben vor Ort, die ich auch habe, von jetzt auf gleich entbunden werden kann.
Peter Kaup
Ja, und das ist eben auch so, wenn wir rausgehen, gehen wir mit vielen Tonnen Hilfsgütern raus. Wir sind autark, das heißt vor Ort wohnen wir in Zelten. Wir haben Generatoren mit. Wir haben Trinkwasser dabei, können Trinkwasser herstellen aus Schmutzwasser, wenn es notwendig ist. Wir brauchen keine Nahrung. Für zehn Tage haben wir alles mit, damit wir vor Ort die Struktur nicht belasten, weil die ja zu dem Zeitpunkt der Katastrophe schon maximal ausgedünnt sind.
Till Hasenberg
Wie muss ich mir das ganz praktisch vorstellen? Was für Strukturen haltet ihr permanent vor, um auf solche Katastrophen auch reagieren zu können?
Peter Kaup
Ja, permanentes Training: zweimal im Jahr große Übungen der einzelnen Player. Bei I.S.A.R. Muss man schon was können und übt nur das Miteinander. Also jeder von uns ist Profi in seinem Bereich. Also da sind halt Feuerwehrleute, die ausgebildet sind in Trümmersuche. Da sind Hundeführer und Hundeführerinnen, die ausgebildet sind. Und Ärzt*innen. Wir haben immer unsere Kisten gepackt. Die müssen auch so gepackt sein, dass sie direkt in den Flug können. Dafür muss man auch Lizenzen haben. Das Equipment füllt eine ganze Turnhalle! Mit einem Gabelstapler wird es dann auf einen 40 Tonner verladen wird, wenn sie in Einsatz geht.
Peter Kaup
Und die Beobachtung der Schadensgebiete erfolgt erst natürlich im ganz kleinen Kreis. Also Einzelne beobachten das nur mit dem Auftrag und wenn sich dann daraus ein Einsatz entwickelt mit Anforderungen, dann sind halt viele da. Und wir werden dann von der Feuerwehr Duisburg von Ehrenamtlern zum Flughafen gefahren und je nachdem, wo wir dann ein Flugzeug chartern können, das wird bei so einer Katastrophe oft relativ schwierig, weil die natürlich dann sehr schnell von vielen gebraucht werden, dann werden wir dahin gefahren. Häufig Frankfurt, diesmal war es Köln/Bonn.
Peter Kaup
Und dann sind viele, viele Ehrenamtliche unterwegs, um uns in den Einsatz zu bringen.
Till Hasenberg
Ihr seid dann in der Nacht schon gestartet. Wie groß war da euer Team? Wie muss ich mir das vorstellen?
Peter Kaup
Wir sind mit 43 Teilnehmern von I.S.A.R gestartet und hatten noch einige Pressevertreter mit dabei.
Till Hasenberg
Und dann seid ihr in der Türkei gelandet, wahrscheinlich schon direkt nahe dem Katastrophengebiet. Wie erfolgt dann vor Ort die Einteilung? Es kann ja nicht so sein, dass ihr dann losmarschiert und guckt, wo es was zu tun gibt, sondern es muss ja auch irgendwie koordiniert sein vor Ort.
Peter Kaup
Genau. Da gibt es auch feste Strukturen. Wir werden ja angefordert. Die Koordinierung läuft über die UN. Es gibt dann vor Ort ein Koordinierungsteam, was sozusagen die Sektoren einteilt, an dem auch unsere Mitglieder mit beteiligt sind. Also das ist im Prinzip so: Zwei Spezialisten aus unserem Team gehen in eine Koordinierungsgruppe vor Ort, die am Flughafen schon dafür sorgen, dass die nachrückenden möglichst schnell in den Einsatz kommen. Für mich persönlich war es so: wir kamen dort an und wir haben im letzten Jahr, glaube ich, I.S.A.R. Turkey gegründet. Und die hatten dann vor Ort eigentlich alles schon vorbereitet. Der LKW stand da, der Bus für den Transport stand da und die hatten auch schon im Schadensgebiet die ersten Schadenstellen ausgemacht, wo wir in den Einsatz gehen konnten. Und so war das für mich super zackig. Wenn man bedenkt, 18 Uhr Alarm und am nächsten Tag, Ortszeit 18 Uhr abends, haben wir die erste Lebendrettung bereits durchführen können.
Till Hasenberg
Okay, wie sieht das ganz praktisch aus? Ihr seid in so einer, was war das, einer Kleinstadt, so 100.000 Einwohner habe ich glaube ich gelesen.
Peter Kaup
Ja, Kirikhan. Genau.
Till Hasenberg
Und dann baut ihr euer Lager auf oder wie sieht das dann ganz praktisch aus? Du bist als Notarzt vor Ort. Was sind deine Aufgaben, die du ausführst?
Peter Kaup
Ja, das hängt immer ein bisschen von der Situation ab. In dem Fall war es so, wir kamen hin, hatten direkt zwei Schadenstellen, an denen wir in den Einsatz gehen konnten. Die Teams sind ja vorher schon eingeteilt und dann wurde an zwei Orten gesucht. Und ein Drittel des Teams hat dann in der Zeit die Stelle gesucht, wo man am besten sein Lager aufstellen kann. Das muss man sich so vorstellen. Wir schlafen natürlich in Zelten, damit bei Nachbeben uns im Zweifelsfall nur eine Stange auf den Kopf fällt und nicht ein ganzes Haus. Und wir müssen natürlich eine Stelle suchen, wo wir nicht im Schatten eines großen Gebäudes sind, was beim Nachbeben dann unser Lager unter sich begraben wird. Also schlafen ist ja immer relativ wenig möglich. Wenn man uns mal so sieht, auch im Fernsehen, liegen wir häufig auf dem Boden rum. Wir als Mediziner wissen ja, zur Erholung ist das Liegen wichtig. Das Gehirn schläft ja nie. Sodass man einigermaßen ausgeruht, kann man jetzt nicht sagen, aber mindestens doch arbeitsfähig vor Ort ankommt. Dann hat das erste Team bis nachts um zwei gearbeitet.
Peter Kaup
Wir haben parallel gearbeitet mit zwei Teams. Das erste Team hat dann nachts um zwei aufgehört, ist ins Lager eingerückt und hat morgens um acht das zweite Team abgelöst. Und dann wird Schadenstelle nach Schadenstelle bearbeitet und zwar rund um die Uhr. Und dafür sind dann immer um acht Uhr Wechsel. Es gibt eine Tagschicht, eine Nachtschicht und das geht ja, solange unsere Hunde positiv anschlagen und zeigen, da könnte noch jemand sein.
Till Hasenberg
Die Hunde hat man ja auch tatsächlich im Fernsehen immer mal wieder gesehen. Aber ihr seid ja technisch wahrscheinlich versiert und auch ausgestattet, weil in der Situation wird ein Hund wahrscheinlich eher die Richtung vorgeben. Aber das Retten ist ja wahrscheinlich die echte Herausforderung.
Peter Kaup
Ja, ich glaube, das kann man so gar nicht sagen. Das ist Teamarbeit. Ja, also einmal, wenn wir an die Schadensstelle kommen, zu beurteilen, gibt es da überhaupt Hohlräume, wo wir uns vorstellen können, dass Menschen sein können. Die Hunde, das ist unglaublich, wie gut die trainiert sind. Ja, also die sind auch mit einem ganz starken Willen vor Ort. Denen geht es natürlich um ihr Spielzeug, was sie dann kriegen, wenn sie jemanden entdecken. Und die können halt lebende und tote Menschen unterscheiden. Wenn man verstorben ist, schlägt der Hund nicht an, sondern nur, wenn sich Lebende unter den Trümmern befinden. Und dann folgt die technische Beobachtung. Dabei haben wir Hörgeräte, die man auflegt. Und damit kann man Klopfzeichen oder schon Kratzen an Beton von dem Verschütteten orten und feststellen, wo ungefähr er liegt, weil natürlich die Witterung für den Hund nicht direkt über der Stelle ist, sondern die kann sich in den Trümmern an unterschiedlichen Stellen sich zeigen. Ja und dann geht Bergung los, wie du schon gesagt hast. Eine Rettung, wenn man dann erfolgreich ist. Und das ist harte Knochenarbeit für jeden aus dem Team. Da wird eimerweise der Schutt rausgeräumt, da werden Betondecken durchbrochen und weggeflext.
Peter Kaup
Da wird Metall aus dem Weg geräumt, alles was auf dem Weg zu dem Verschütteten liegt und es wird abgesichert und abgestützt und der Zugang muss ja auch groß genug sein, dass man dann mit dem Verschütteten zusammen aus der Schadenstelle rauskommt. Also das ist dann schon harte Arbeit.
Till Hasenberg
Was waren da so für medizinische Herausforderungen oder was hast du für Verletzungsmuster erlebt, wo du wirklich aktiv auch ärztlich tätig warst?
Peter Kaup
Ja, in diesem Fall sind wir vor Ort natürlich wenig ärztlich tätig, weil in einer solchen Struktur ist es so, dass wir ja übergeben an den türkischen Rettungsdienst, die ja auch gut aufgestellt sind und wir primär erstmal für die Sicherstellung unseres Teams da sind. Das heißt, sollte es zu Verletzungen kommen, dann eben auch die Mitglieder zu versorgen. Und wenn man an die Verschütteten herangekommen ist, eine gemeinschaftliche Beratung darüber, wie hole ich diesen Verschütteten am sichersten aus den Trümmern. In dem Falle war es aber so, dass wir Rettungswagen vor Ort hatten der türkischen Rettungskräfte und wir uns dann sozusagen gemeinschaftlich mit den Rettungskräften auch eine Versorgung der Patienten durchgeführt haben. Und da ist natürlich das Wichtigste, erst mal Flüssigkeit ranzubringen. Wenn jemand noch wach und ansprechbar ist natürlich, indem er selber trinkt. Ja und sobald dann jemand aus den Trümmern gekommen ist, hängt es davon ab, wie die Verletzung ist. Also wenn einem Muskel eingeklemmt ist, dass man dann eben diese Extremität ausschaltet sozusagen mit einem Tourniquet, bis dann der Patient oder die Patientin in der Klinik ist, damit nicht zu viel der Stoffe, die sich da angereichert haben und gleichzeitig in den Kreislauf zurückkommt.
Peter Kaup
Unterkühlung ist natürlich wichtig, war in dem Falle gar nicht so entscheidend, weil es extrem warm war unter den Trümmern. Hatten wir so nicht mit gerechnet. Und das ergibt sich immer daraus, was wir sehen. Also für eine Notfallamputation, die nach dem Vieraugenprinzip erfolgt, braucht man braucht zwei Ärzte, dafür waren bei uns auch genug da. Wenn es dazu kommt, dass wir jemanden nur retten können aus den Trümmern im Rahmen einer Amputation, wird dann eben auch eine Narkose durchgeführt und eine Amputation, wenn notwendig. Das war zum Glück nicht der Fall.
Till Hasenberg
Okay, aber so wie ich das raushöre, war die Zusammenarbeit und die Kooperation mit den türkischen Kollegen offensichtlich sehr gut.
Peter Kaup
Super, also es war eh so, dass man sich wirklich sehr aufgehoben fühlte. Also eine extrem starke Unterstützung, wenn man bedenkt, in was für einer Situation das ist. Da ist jedes zweite Haus zusammengebrochen, egal wie viel Hilfe da ist, kann nur zu wenig sein. Und trotzdem wurden wir sehr wertgeschätzt und sehr unterstützt. Also man sieht, dass sie da nichts haben. Man kriegt Tiere angeboten, die man dann zwar in der Regel versucht abzulehnen und Gebäck. Dann ist das schon Wahnsinn. Die haben nichts und teilen, weil sie sehen, dass wir ein gemeinschaftliches Team haben.
Till Hasenberg
Wenn man das hier aus sicherer Entfernung in den Medien verfolgt hat, hat man so ein bisschen das Gefühl, es wurde auch teilweise wirklich so kommuniziert, dass die Stimmung da am Kippen wäre und dass die Betroffenen da sehr alleine gelassen würden. Das war jetzt nicht so deine Wahrnehmung da vor Ort.
Peter Kaup
Das ist sicherlich die Stimmung, aber die ist ja nicht gegen uns gerichtet, sondern das kann man sich ja vorstellen. Also wenn in Deutschland ein Haus so kollabiert wäre, wie da Hunderte kollabiert sind, dann wären wahrscheinlich 300 Rettungskräfte vor Ort. An einem Haus. Wir haben ja auch in Deutschland eine größere Katastrophe erlebt. Wenn man sich die mal 10, oder ich weiß gar nicht, mal 100 vorstellt… Wenn man sich vorstellt, dass man versucht ein Haus zu löschen und nebenan brennt schon das nächste. Das man da nicht entspannt bleibt ist ja klar. Wir haben keine Aggressivität gegen uns erlebt, sondern Verzweiflung.
Till Hasenberg
Ihr seid alles Profis. Aber ich kann mir das auch schon sehr als belastend vorstellen. Du hast gerade angesprochen, dass die eine Person, die ihr gerettet habt, die, wenn ich das richtig verfolgt habe, am nächsten Tag in der Klinik dann verstorben ist. Das ist, glaube ich, schon auch recht hart und auch diesen Riesenaufwand, den ihr betreibt. Wie geht ihr damit um? Unterstützt ihr euch da als Team oder werdet ihr auch da professionell begleitet?
Peter Kaup
Ja, wir werden professionell begleitet, allein schon durch uns selbst. Also ich selber habe da die Aufgabe, auf unser Team, was das angeht, zu achten, mit noch ein, zwei anderen aus dem Team. Und wir selbst, wenn wir zurückkommen, haben die Möglichkeit einer psychosozialen Unterstützung. Es ist aber so, dass unser Leid gar nicht so im Vordergrund steht. Ich glaube, das kennst du wahrscheinlich, wenn man im Rettungsdienst tätig ist. Man fokussiert sehr auf das, was da vor Ort gerade passiert ist und auf das, was man selber tut. Man fühlt ja keine eigene Schuld an dem, was da ist. Und egal, was man tut, es kann nur besser werden. Das ist hilfreich. Und auch wenn sich natürlich alle sehr darüber gefreut haben, dass wir Zeynep retten konnten, war jedem von uns klar, dass ein so schweres Trauma, vor allem wenn man sieht, dass ihre gesamte Familie neben ihr lag und ausgelöscht wurde, dann kann man sich denken, dass da auch eine Verletzung da sein kann, die mit dem Leben nicht mehr vereinbar ist. Und wir wissen ja als Intensivmediziner bei so unklaren Traumata, die auf die Intensivstation kommen, da würde keiner von uns sich trauen, vor 48 Stunden irgendwie Entwarnung zu geben. Und das war natürlich da genauso.
Till Hasenberg
Wie wird dann eigentlich festgelegt, wann der Einsatz auch beendet wird? Habt ihr da vorher ein ganz klares Zeitfenster? Wir sind da jetzt zehn Tage und danach kann man sozusagen sowieso nichts mehr erreichen? Oder gibt es da irgendwelche Parameter, wo ihr sagt, wenn die und die Situation eintritt, dann rücken wir wieder ab?
Peter Kaup
Ja, also erst mal kann es vorkommen, dass der Einsatz international beendet wird, also dass das Land sagt, jetzt ist der Einsatz beendet und dann ist er natürlich für uns auch beendet, weil er ja ein Hilfeersuchen ist. Wir wissen als Mediziner 100 Stunden, plus Minus ohne Flüssigkeit, das schafft man. Danach wird es schwer. Danach ist ja nicht Schluss mit Hilfe, sondern im Prinzip kann man sich das so ein bisschen vorstellen wie so ein Rettungswagen oder Notarztwagen. Wir sind halt sehr schnell vor Ort und können die Menschen retten, die dringend und sofort Hilfe brauchen. Danach sind die schweren Abbruchgeräte da und diese vielen, vielen Tonnen, die darüber liegen, werden dann weggeschafft, um dann Menschen zu retten, die verschüttet sind in Hohlräumen und die Zugang hatten zu Wasser oder zu Nahrung oder was auch immer. Und da würde man dann wahrscheinlich eher behindern. Und die Search and Rescue Teams sind alle so, dass sie zehn Tage autark vor Ort sein können. Das heißt, für zehn Tage ist so ein Einsatz ausgelegt und würde dann noch ein Team notwendig, würde ein sogenannter zweiter Abmarsch rausgehen. Also das eine Team ginge zurück und das nächste ging raus. Nicht nur, weil wir zehn Tage autark sein können, sondern da ist man auch durch. Also wir arbeiten bis zur Erschöpfung
Till Hasenberg
Jetzt wart ihr im Süden der Türkei eingesetzt. Hattet ihr auch irgendwelche Informationen, wie die Situation in Syrien ist, die ja noch dramatischer sein soll.
Peter Kaup
Nein, also habe ich im Prinzip das Gleiche nur aus der Presse erfahren. Ich kümmere mich um das, was ich vor Ort sehe und bin nur da in mir drin. Wir haben Teams getroffen am Flughafen, ein Team aus Algerien, das mit zwei Teams da war. Eins sollte nach Syrien gehen und eins in die Türkei. Ich habe dann hinterher gehört, dass sie eben nicht über die Grenze kamen, aber zu dem Zeitpunkt sah es erstmal so aus, als wenn da auch einige wären, die ins Landesinnere nach Syrien gehen würden.
Till Hasenberg
Jetzt habt ihr ja auch eine große mediale Präsenz gehabt in der Zeit, was ja glaube ich eurer Arbeit insgesamt auch gut tut. Tue Gutes und sprich darüber. Wenn jetzt ein Zuhörer sagt, das finde ich super, wie kann er euch unterstützen? Ihr braucht finanziellen Support, das ist klar. Aber vielleicht fühlt sich auch jemand berufen zu sagen, da möchte ich das nächste Mal oder nach einer entsprechenden Vorbereitung dabei sein. Ist das überhaupt was, wo ihr aktiv werdet oder sagt ihr, wir sind so aufgestellt, dass wir gezielt eher Profis ansprechen, die dann dabei sein können?
Peter Kaup
Ja, kann man beides eigentlich sagen. Natürlich, wenn wir jemanden kennen, sprechen wir gezielt an. Weil natürlich das Miteinander extrem wichtig ist. Wir sind ja häufig am Ende der Welt und mal ist es medialer aktiv oder zu sehen, mal nicht. Also der letzte Haiti Einsatz war ja zeitgleich mit der Evakuierung von Kabul. Da ging es den Menschen genauso schlecht. Da wurde ganz wenig darüber berichtet, was für unsere Arbeit keine Rolle spielt. Natürlich ist klar, ohne Spenden für I.S.A.R. können wir keinen Flieger bezahlen und können eben nicht raus. Und wenn man Interesse hat mitzumachen, kann man über unsere Email Adresse Kontakt aufnehmen. Und ja, wir laden eigentlich alle, die ins Team passen würden, also von ihrer Ausbildung her zu einem Bewerbungsgespräch auch ein. Und dann, wenn das so verläuft, dass beide das Gleiche wollen, also wenn man dann weiß, was macht eigentlich I.S.A.R. Germany und passt das zu dem, was ich selber tun will, dann macht man gemeinschaftliche Übungen und dann sieht man, ob man auch gemeinschaftlich arbeiten kann. Und dann sind wir froh über jeden, der mit denen in den Einsatz gehen kann.
Till Hasenberg
Ich glaube, da sollte man nochmal auf eure Homepage verweisen, die tatsächlich ganz viel über eure Geschichte, aber auch über die Aktivitäten beschreibt. Und ich habe jetzt nicht geguckt, aber ich bin sicher, dass es da auch einen Link zu einer Spendenmöglichkeit gibt.
Peter Kaup
Aber hundertprozentig. Und zwar ganz einfach sogar.
Till Hasenberg
Wunderbar. Peter, ganz herzlichen Dank für die Zeit, die du für uns hattest. Ich fand das hochspannend und ich habe echt was gelernt. Ich hoffe, dass das auch auf die entsprechende Resonanz trifft. Und ich sage erstmal herzlichen Dank und wir sehen uns sowieso in einem anderen Rahmen sicherlich demnächst wieder.
Peter Kaup
Ja, ich bedanke mich auch, weil wie du schon sagst, wir müssen über das Gute sprechen und auch das hilft ja bei der Traumaverarbeitung. Also vielen Dank dafür, auch vielen Dank für die Unterstützung, wenn ich mal nicht zu Hause bin…