Antidementiva – mit Prof. Sebastian Baum
Folge #205 im Klinisch Relevant Podcast, Erstveröffentlichung im februar 2022
Zusammenfassung
Sebastian Baum ist Apotheker und betreut als Teil eines interdisziplinären Behandlerteams geriatrische Patient*innen im Hinblick auf die Medikamente im klinischen Alltag.
In der heutigen Folge spricht er mit Kai über seine Erfahrungen mit Antidementiva und gibt einen Überblick über die zur Verfügung stehenden Präparate und deren Anwendung.
Trotz der überschaubaren Studienlage im Hinblick auf die Wirksamkeit der Antidementiva erläutern wir, worauf die Zulassung der Mittel basiert und für welche Formen der Demenz diese gilt.
Natürlich erfahrt ihr auch etwas über die Anwendungsbeschränkungen, die potentiellen Nebenwirkungen und dem „Rote Hand“-Brief zu Rivastigmin.
Transkript des Interviews
Einleitung
Hallo und herzlich Willkommen zum Klinisch Relevant Podcast, dem Fortbildungspodcast für alle, die im Bereich der Medizin beruflich tätig sind. Wir begrüßen dich ganz herzlich zu dieser Folge und freuen uns sehr, dass du heute eingeschaltet hast. Und noch mal ganz kurz: Falls Du klinisch relevant als Fortbildungsplattform noch nicht kennen solltest, laden wir dich ganz herzlich ein, weiterhin unsere Podcast zu hören bzw. dich auf www.Klinisch-relevant.de einmal umzuschauen. Wir bieten dir zweimal in der Woche neue Fortbildungsinhalte völlig kostenlos an. Und das Besondere an uns ist, dass wir selbst alle Teil der sogenannten Zielgruppe sind. Da wir also alle selber in medizinischen Fachberufen tätig sind, haben wir unsere Beiträge natürlich pharmafrei und völlig unabhängig für dich aufbereitet. Du kannst uns überall da anhören, wo es Podcasts gibt und natürlich auch auf unserer Internetseite unter www.klinisch-relevant.de Hier findest du nicht nur tiefergehende Informationen zu unserem Projekt, sondern auch den Zugang zu unserer Online-Fortbildungsakademie, auf der du weitergehende Audio- und Videofortbildungen buchen kannst. Und bevor wir in den heutigen Beitrag einsteigen noch der allgemeine Hinweis, dass das Ganze ausdrücklich nicht nur an Ärzte gerichtet ist, sondern an alle, die mit den Bereichen Physiotherapie, Pflegeberufe, Ergotherapie und Logopädie zu tun haben. So, und nun wünschen wir dir ganz viel Spaß und viele Erkenntnisse beim Zuhören. Heute mit Professor Sebastian Baum, Stationsapotheker aus Münster, zum Thema Antidementia.
Kai Gruhn
Lieber Sebastian, vielen Dank, dass du ein weiteres Mal zu Gast bist bei uns im Podcast. Du bist Apotheker und du hast eine große Expertise, wenn es um geriatrische Patienten geht. Du bist im Stationsalltag fest integriert in den Kliniken, in denen du arbeitest. Du betreust also die geriatrischen Patienten eins zu eins mit. Das ist super spannend und ist für das heutige Thema auch total wichtig, weil es um die sogenannten Antidementia gehen soll. Ich habe es vorhin schonmal im Vorgespräch gesagt: Das ist kein Thema, wo man sich so richtig mit Ruhm bekleckert als Therapeut, als Arzt, wenn man diese Medikamente einsetzt. Und ich finde, das Wort Antidementia spiegelt nicht so richtig das wieder, was man eigentlich macht. Es geht ja letztlich nur um eine „Verlangsamung der Progression“ der Demenz, wenn man Glück hat. Als erstes wollte ich dich gerne fragen, Sebastian, wie eure Erfahrung mit diesen Medikamenten ist und wie ihr die Medikamente einsetzt, ob es da einen festen Algorithmus gibt bei den ärztlichen Kollegen und bei dir in der Arbeit mit Demenzpatienten?
Sebastian Baum
Hallo erstmal auch von meiner Seite. Schön, dass ich wieder eingeladen worden bin. Genau, die Demenzpatienten kommen bei uns in den Kliniken ja auch sehr gehäuft vor und dementsprechend überlegen wir auch oft, antidementive Therapien zu beginnen. Und es ist ein sehr interessantes Tätigkeitsfeld, weil diese Patienten ja nicht nur die Demenz haben, sondern auch Verhaltensstörungen mitbringen können etc. Das schiebe ich aber jetzt erstmal beiseite und beginne mit dem Thema Antidementiva. Was uns vielleicht auch subjektiv auffällt ist, dass wir tatsächlich eher die Therapie beginnen und nicht fortsetzen. Also ich sehe relativ viele Patienten mit einer Demenz, auch einer vorbestehenden Demenz, die eigentlich pharmakologisch unbehandelt ist. Und wir sind immer noch der Auffassung, dass man diese Therapie dem Patienten zumindest nicht vorenthalten sollte, weil man sicherlich nicht sagen kann, dass die Medikamente alle unwirksam sind. Es sind nicht solche Medikamente, die einen durchschlagenden objektivierbaren Erfolg mit sich bringen, weil sie eben die Progression verhindern sollen und wir nicht wissen, wann, inwiefern und in welchem Ausmaß sie bei dem Patienten einen Benefit mit sich bringen. Dabei ist der Gedächtniserhalt auch gar nicht so das Ziel, sondern eigentlich der Erhalt der Daily Activities, der ADLs. Die Patienten sind bei uns ja drei Wochen stationär. In der ersten Woche wird noch geprüft, ob tatsächlich eine Demenz vorliegt. Wir überprüfen das nochmal, weil wir immer wieder Patienten haben, die doch raus fallen und bei denen wir die Demenzdiagnose wieder streichen. Das kommt tatsächlich alle zwei Monate mal vor. Aber wenn die Demenz feststeht und vor allem, wenn es eine Alzheimerdemenz ist oder wenn eine gemischte Form mit Alzheimeranteilen vorliegt, dann spricht primär nichts dagegen, eine antidementive Therapie zu beginnen. Und das machen wir auch kontinuierlich und es gibt auch kaum Gründe, das nicht zu tun.
Kai Gruhn
Ja, das deckt sich mit meiner Erfahrung und auch mit meiner Herangehensweise mit meinen Patienten. Hast du Lust, noch mal so ein bisschen diese Gruppe der Antidementia zu beschreiben? Welche Präparate gibt es da? Welche Wirkstoffe gibt es da und wie ist die Hypothese, dass die wirken?
Sebastian Baum
Ja, also das Thema ist ja relativ übersichtlich. Wir haben zwei Gruppen: In der einen Gruppe haben wir die Acetylcholinesterasehemmer. Da sind drei Wirkstoffe dabei: Das Galantamin, das Donepezil und das Rivastigmin. Diese Medikamente sind zugelassen bei der leichtgradigen Demenz. Und dann haben wir noch die NMDA-Rezeptormodulatoren, das Memantine, was ab der mittelschweren Demenz zugelassen ist. Also kann man bei leichten und mittelgradigen Demenzformen die Acetylcholinesterasehemmer einsetzen und für die mittelschwere bis schwere Alzheimerdemenz ist Memantine zugelassen. Das war es im Prinzip schon. Es gibt natürlich viele andere Antidementia und Nootropika ect. Die würde ich jetzt aber alle erst mal nicht weiter thematisieren wollen, weil für diese Medikamente im Prinzip keine evidente Wirksamkeit wirklich belegen werden konnte. Dazu gehören z.B. Piracetam und Nivoditin. Die sind zumindest in unserer Region auch so gut wie ausgestorben, die gibt es kaum noch. Auf Ginko wird noch zurückgegriffen. Nicht von unserer Seite, sondern die Patienten kommen oft mit Ginkopräperaten zu uns. Auch da reden wir mit den Patienten und mit den Angehörigen, ob man nicht vielleicht auch das Ginkopräparat auf eine chemische Substanz ändert, weil da doch die Datenlage etwas günstiger ist als bei den Ginkopräparaten. Wenn die Patienten auch noch z.B. ASS 100 bekommen, gibt es auch ein erhöhtes Blutungsrisiko. Das ist jetzt nicht super gravierend, aber Blutungsereignisse sind im Alter schon sehr häufig und da muss man jetzt nicht noch künstlich was dazu packen. Genau, diese drei, vier Substanzen gibt es da.
Kai Gruhn
Du hast es gerade schon gesagt, wenn man jetzt ganz streng ist, dann sind die Medikamente eigentlich nur zugelassen für die Alzheimerdemenz, richtig?
Sebastian Baum
Genau.
Kai Gruhn
Du hast gerade gesagt, dass wir die Medikamente natürlich auch bei gemischten Demenzformen einsetzen können (wobei die Trennschärfe ja natürlich nicht immer besonders groß ist). Aber letztlich gibt es ja auch Demenzerkrankungen im Zusammenhang mit anderen degenerativen Erkrankungen. Ganz streng genommen sind die Medikamente in dem Bereich gar nicht zugelassen, richtig? Also wenn man zum Beispiel an eine Parkinson Demenz denkt, dann sind die Medikamente eigentlich nicht evaluiert oder zugelassen.
Sebastian Baum
Genau, also zugelassen sind die Medikamente dann auf gar keinen Fall. Also wenn man sich In-Label aufhalten möchte, dann muss der Patient eine Alzheimerdemenz haben, entweder rein oder anteilig in einer Mischform. Bei den reinen nicht-Alzheimerdemenzformen wäre es ein Off-Label-Use. Bei den Parkinson Patienten oder auch bei der Lewy-Body-Demenz (also bei Demenzformen, wo der parkinsonoide Anteil relativ hoch ist), hat sich aber zum Beispiel auch gezeigt, dass man Rivastigmin einsetzen kann und es da auch eine Wirksamkeit besitzt. Das ist ein Off-Label-Use aber trotzdem wird es auch in den Leitlinien empfohlen. Zwar nicht so hochgradig wie bei den Alzheimerdemenzformen, aber es gibt doch eine Empfehlung zu probieren es dort einzusetzen, gerade weil es auch eine Beeinflussung von Verhaltensstörungen gibt. Ich bin auch ganz vorsichtig, das so zu sagen, weil die Evidenz bzw. Die Datenlage da auch sehr überschaubar ist. Dass man sagt, „das muss man jetzt machen und das hat auf jeden Fall großen Benefit“, ist dort nicht gegeben, sondern es ist einen Versuch wert und es funktioniert schon ganz okay. Also das darf man nicht vergessen. Tatsächlich machen die Antidementiva aber z.B. bei der frontotemporalen Demenz so gut wie gar keinen Sinn. Die Antidementiva beeinflussen da nicht die frontotemporalen Einschränkungen, was Emotionssteuerung und so was betrifft. Also diese Schwankungen und so was, die lassen sich definitiv nicht mit Antidementiva irgendeiner Form in den Griff bekommen oder reduzieren. Da sind halt andere Präparate einen Versuch wert. Aber auch da ist die frontotemporale Demenz schon eine schwierige Behandlungsform, weil die frontotemporalen Demenzen für die Angehörigen extrem belastend sind und auch für den Patienten, weil er das ja auch zum Teil ja mitkriegt, was er da so veranstaltet. Und auch bei der vaskulären Demenz zeigen sich die Antidementiva jetzt auch nicht als so gut wirksam, sodass wir sie bei diesen Patienten auch nicht einsetzen. Also wenn sie eine reine vaskuläre Demenz haben, setzen wir auch eher keine Antidemntiva ein, sondern versuchen eher die vaskulären Komponenten ein bisschen in den Griff zu bekommen. Also wie zum Beispiel ASS 100, weil ja als Ursache in den meisten Fällen Mikroinfarkte vorliegen. Und dann sind natürlich cerebrovaskuläre Schutzmassnahmen wie ASS 100 und gegebenenfalls ein Statin, eine Überlegung wert. Ganz anderes Thema, ich bin jetzt auch kein Verfechter davon, dass jeder im Alter noch ein Statin braucht, aber das wäre so eine Überlegung, eventuell etwas in diese Richtung zu erwägen oder auch eine Statintherapie niedrig dosiert fortzuführen. Vielleicht nicht unbedingt eine Statintherapie anzufangen, aber fortzuführen. Und das wäre im Prinzip etwas wichtiger, als da die Antidementiva einzusetzen.
Kai Gruhn
Du hast ja schon angesprochen, die Studienlage, die es zu den Antidementiva gibt ist überschaubar und vielleicht auch etwas dünn. Vielleicht nochmal ganz kurz zu der Wirkweise der beiden Substanzgruppen. Wie erklärt man sich das? Warum wirken die oder warum haben die möglicherweise eine Wirkung auf Demenzerkrankungen?
Sebastian Baum
Ja, es wird davon ausgegangen, dass es einen Acetylcholinmangel in den Nervenzellen gibt, verursacht durch die neurodegenerativen Prozesse, die ja im Rahmen der Alzheimererkrankung durch die Amyloidplaques auftreten. Und das versucht man zu modulieren. Ich muss jetzt gestehen, ich weiß gar nicht, ob das nicht eher auch ein Effekt war, den man beobachtet hat und dass es so ein Zufallsbefund war, dass man gesehen hat, dass die Acetylcholinesterasehemmer da einen Benefit mit sich bringen. Auch wenn man den Pathomechanismus versteht, dass die Erkrankung mit einer Degeneration von Nervenzellen durch Amyloid Plaques einhergeht. Aber es gibt ja auch Untersuchungen dazu, dass ja der Grad oder die Häufung der Amyloid-Plaques nicht unbedingt einhergeht mit dem Grad der Demenz. Ich krame jetzt auch weit in meinem Gedächtnis. Ich habe da die Nonnenstudien aus den USA im Hinterkopf, in denen man tatsächlich mal geguckt hat, ob man den Grad der Demenzform irgendwie postmortal anhand einer Hirnbiopsie ausmachen konnte. Also das man dachte „je degenerativer das Gehirn ist, desto dementer waren sie“- und das stimmte garnicht. Ich weiß nicht, ob du die Studien kennst aber das habe ich so ganz vage noch im Hinterkopf, dass man da spätestens heruasgefunden hat, dass es gar nicht unbedingt einen kausalen Zusammenhang gibt. Das heißt also, der absolute Anteil an Amyloid Plaques sagt überhaupt nichts darüber aus, wie dement dieser Patient ist oder ob er überhaupt dement ist.
Kai Gruhn
Ja, also solche Daten kenne ich auch. Diese Studie, die du genannt hast jetzt nicht explizit, aber genau. Ich glaube, es gibt keine eins zu eins Korrelation zwischen der Amyloid Plaque Last und der der Ausprägung der Demenz. Das deckt sich mit dem, was ich weiß. Also, okay, wir gehen davon aus, wir wissen nicht genau, ob es sozusagen eine zufällige Beobachtung war, dass es einen Mangel an Acetylcholin gibt im Hinblick auf die auf die Demenzerkrankung. Acetylcholin ist ja ein Neurotransmitter, der häufig eine Rolle spielt. Und bei dem Memantin ist es dann das Glutamat, das da moduliert wird im Stoffwechsel.
Sebastian Baum
Ja, ganz genau. Ich meine auch bei Delir und sowas haben wir ja auch einen Acetylcholinmangel. Und dass das Acetylcholin eben wichtig ist für das Gedächtnis und die Kognition, das ist ja schon lange bekannt. Ich weiß es nicht, wann es angefangen ist, also ich habe Untersuchungen aus den 70ern, 80ern im Kopf, wo das schon gezeigt worden ist. Wahrscheinlich ist es noch länger her, ich kenne die Historie gar nicht muss ich gestehen. Aber deswegen war es jetzt naheliegend, auch bei der Demenzerkrankung zu gucken, ob man das Acetylcholin-Level erhöhen kann und ob das einen positiven Einfluss auf das Gedächtnis hat. Und das scheint es ja in begrenztem Maße zu haben. Zumindest wenn man sich die Outcomes anguckt für die Activity of Daily Life, die scheinen wir ja positiv beeinflussen zu können.
Kai Gruhn
Also vielleicht können wir da noch mal ganz kurz reingehen in diese Studienlage zu der Wirksamkeit, was man da festgestellt hat. Worauf basieren die Zulassungsstudien oder die die Zulassung der Medikamente? Und als zweiter Schritt vielleicht: Was sagt ihr den Angehörigen bzw. den Patienten, wenn ihr diese Medikamente einsetzt?
Sebastian Baum
Ja, also zum Teil ist es ja so, dass man geguckt hat, wie der Mini-Mental-Status-Test sich verändert hat. Das wird ja auch in anderen Bereichen immer wieder herangezogen. Es ist natürlich immer ein bisschen mit Vorsicht zu genießen, weil wenn ich acht mal so einen Status-Test mache, dann werde ich auch besser. Selbst ich kriege dann 30 Punkte. Und das ist natürlich ein Manko. Dass man diese Testung valide mehrfach durchführen kann bei einem Patienten ist eigentlich unmöglich, ohne dass ein Lerneffekt da ist. Grade bei einer leichtgradigen Demenz ist das fast unmöglich. Und dann hat man ja noch die Chance, die Aktivitäten des täglichen Lebens irgendwie messbar zu machen mit Fragebögen. Und da fängt es dann aber auch schon wieder an. Das sind ja Fragebögen, die ja dann ausgefüllt werden müssen und man hat hier nicht so einen festen Parameter oder so einen harten Endpunkt. Ich weis jetzt nicht, dass es in Zulassungsstudien der Fall gewesen ist, aber was Heimunterbringung oder sowas betrifft oder die Pflegebedürftigkeit, das kann man sicherlich testen und das wird auch gemacht worden sein. Also tatsächlich kenne ich jetzt aus dem Stand keine oder vielleicht weißt du das. Aber das wäre ja eigentlich auch das Ziel, also deswegen verordnen wir es ja auch. Die Leute sollen ja so lange wie möglich zu Hause bleiben und zurechtkommen. Alleine, gut, ist immer schwierig, aber zumindest mit den Familienangehörigen. Das ist das Ziel der antidementiven Therapie.
Kai Gruhn
Ja genau, darauf zielten glaube ich die Ergebnisse immer ab, dass diese ADLs, wie auch immer man die gemessen hat, dass die sich verbessert haben. Und es gibt auch immer wieder Patienten die mir das auch spiegeln bzw. Angehörige, die mir das spiegeln. Vielleicht können wir dann einmal übergehen zu der Anwendung konkret, welche Probleme es geben kann, welche Nebenwirkungen häufiger auftreten. Es gibt ja auch, ich glaube es war im Dezember erst, gab es ja diesen Rote-Hand-Brief zu Donepezil. Was sind deine Erfahrungen diesbezüglich? Welche Nebenwirkungen kommen häufig vor und warum hat es den Rote-Hand-Brief gegeben?
Sebastian Baum
Ja, dann nehmen wir erstmal den Rote-Hand-Brief. Also die Antidementiva, vor allem die Acetylcholinesterasehemmer erstmal als seperate Gruppe, können zu kardialen Problemen führen. Also was wir manchmal sehen sind EKG-Veränderungen. Die sind eher selten. Was wir eher sehen, vor allen Dingen auch eher subjektiv aber ein bisschen gibt es die Datenlage auch her, dass unter Galantamin das Bradykardierisiko steigt und auch der AV-Block häufger zu sehen ist. Das heißt tatsächlich, wir haben das Galantamin schon ganz lange nicht mehr in unserem Portfolio drin. Wir sind ja eher auch der Schmalspurverordner. Wir haben ein sehr kleines Portfolio an Arzneimitteln und haben uns darauf festgelegt, erst mal mehr oder weniger ein Antidementivum einzusetzen. Und wir haben uns für das Rivastigmin entschieden. Da kann ich auch gleich drauf eingehen, warum es das Rivastigmin geworden ist. Und natürlich setzen wir auch noch Donepezil ein, aber halt kein Galantamin mehr. Wir haben tatsächlich eine Evaluation gemacht und gesagt zwei Antidementiva müssen reichen. Und dann haben wir eins gestrichen und das von den Nebenwirkungen abhängig gemacht. Natürlich ist das Rivastigmin nicht nebenwirkungsfrei, aber es ist zumindest nicht kardiotoxisch. Es wird nicht über Enzyme verstoffwechselt, es wird nicht renal eliminiert. Das heißt, dass es sehr viele Vorteile hat. Was es halt sehr häufig macht ist Übelkeit und deswegen sind wir gerade am Anfang mit niedrigsten Dosierungen dabei und versuchen auch relativ frühzeitig den Switch auf das Pflaster zu machen. Das heißt, die Patienten bekommen bei uns meistens zwei, drei Tage lang 1,5mg Kapseln und am ersten Tag tatsächlich auch nur eine um zu gucken, was passiert und ob schon Nebenwirkungen auftreten. Ab dem 2./3. Tag geben wir es zweimal täglich und dann gehen wir eigentlich schon fast aufs Pflaster. Und die Pflaster werden schon deutlich besser vertragen. Man kann ja ein paar Wochen später auf die 9,6mg erhöhen. Wir versuchen, noch innerhalb des stationären Aufenthalt auf die 9,6er zu kommen wenn wir die Therapie starten um da zu gucken, ob die Verträglichkeit gut ist oder ob EKG-Veränderung auftreten. EKG Veränderungen sehen wir eigentlich kaum oder so gut wie nie. Und in der Regel vertragen die Patientenauch die 9,6mg sodass auch keine Magen-Darm Probleme auftreten. Aber man muss auch sagen, bei den wirklich Hochbetagten ist mit den 9,6mg Pflastern auch dann Schluss. Manchmal haben wir Patienten die mit 9,6mg in der Vormedikation kommen, bei denen versuchen wir auch mal auf 13,3mg zu erhöhen aber das wird eher nicht so vertragen, das merken wir schon. Und dann gehen wir wieder zurück auf 9,6mg. Man muss sich aber auch überlegen dass 9,6mg als Pflaster halt eine Tagesdosis von 9,6mg sind, während man ja peroral zwei mal 4,5mg geben müsste um auf die Tagesdosis zu kommen. Und zwei mal 4,5mg peroral vertragen auch nicht die meisten. Also über die perorale Route haben wir festgestellt, dass zwei mal 3mg häufig vertragen wird, aber dass die Leute, die zwei mal 4,5mg bekommen haben, die Medikation schon deutlich weniger häufig vertragen, sodass man mit der Dosierung wieder runter gehen muss. Und bei den Antidementiva ist es ja schon das Ziel, hier die höchstmögliche Dosierung zu finden, das heißt 9,6mg oder 13,3mg. Da haben die Patienten höchstwahrscheinlich den größten Benefit davon. Und das erreicht man tatsächlich eigentlich nur noch mit den Pflastern und nicht mit der peroralen Gabe. Und deswegen ist das Rivastigmin auch unser Arzneimittel der Wahl geworden. Weil es halt auch bei Parkinsonpatienten eine etwas bessere Wirksamkeit zu haben scheint, sodass man es auch bei diesen Patienten gut einsetzen kann. Und es ist unser Mittel der Wahl bei Patienten, wo die Compliance nicht so ganz gut ist, auch was Schluckstörungen betrifft etc. Da ist dann das Pflaster geeigneter. Und ansonsten, wenn es eine perorale Therapie sein soll, nehmen wir das Donepezil. Da landen wir eigentlich immer bei 10mg. Also dass das jemand nicht verträgt, ist eher seltener.
Kai Gruhn
Gibt es noch andere Nebenwirkungen, die man auf der auf dem Schirm haben sollte? Also du hast jetzt gerade gesagt, dass insbesondere Übelkeit und gastrointestinale Nebenwirkungen auftreten können.
Sebastian Baum
Ja, also was man zwischendurch mal feststellt hat ist, dass die Patienten dadurch kognitiv schlechter werden, also auch mal ein Delir entwickeln oder irgendwie unruhig werden. Dann setzen wir es wieder ab. Das ist nicht sehr häufig, aber auch nicht so selten, dass man es nie sieht. Also das gegenteilige von dem, was man eigentlich erwarten würde, kann da paradoxer Weise auftreten. Also das beobachten wir ganz selten, aber wir beobachten es halt. Und dann geht es halt wieder raus und wird auch so dokumentiert. Ab und zu überlegen wir uns, wenn es die Zeit mit sich bringt, noch das Antidementivum zu wechseln. Aber meistens schaffen wir das gar nicht und dann lassen wir den Patienten auch erst mal wieder zur Ruhe kommen. Wenn die Patienten einmal schlechter geworden sind, sind sie ja nicht am nächsten Tag wieder kognitiv fit, sondern die sind ja dann ein paar Tage durcheinander. Also nicht delirant, das nicht, aber so ein paar Tage neben der Spur, das merkt man schon. Und dann lassen wir das meistens für diesen stationären Aufenthalt sein, da direkt das nächste Antidementivum auszuprobieren.
Kai Gruhn
Eine orale Einnahme von Donepezil hast du gerade angesprochen. Nimmt man das morgens oder abends? Und warum?
Sebastian Baum
Abends, weil es müde machen kann. Das ist das Eine. Und der zweite Hintergrund ist, wenn es initial auch Übelkeit machen kann, würde man das abends nicht so verspüren. Aber vor allen Dingen das müde machende ist eigentlich der Hauptgrund gewesen, warum man es eher abends empfiehlt einzunehmen.
Kai Gruhn
Wie ist es mit dem Memantin? Wie ist da so das Nebenwirkungsspektrum und wie dosiert man das? Wann nimmt man das ein?
Sebastian Baum
Ja das ist eine gute Frage, weil es halt verschiedene Therapieschemata gibt. Bei Memantin ist eigentlich erstmal das Wichtigste, nach der Nierenfunktion zu gucken. Weil bei Memantin ist es so, dass man ab einer bestimmten GFR nur noch 10mg geben darf. Ich habe es jetzt nicht im Kopf, da muss ich selber nochmal gucken, aber ich glaube bei einer GFR kleiner als 60ml/min oder spätestens kleiner als 45ml/min. Ich meine sogar, dass bei einer GFR kleiner 60ml/min der Cut-Off nicht mehr als 10mg Tagesdosis ist. Und das haben ja 80 % der Patienten, also eine Nierenfunktionsstörung Grad drei. Das heißt die volle Dosis dürften diese Patienten sowieso nicht bekommen. Gut, das ist ja nicht so schlimm, weil die volle Dosis kriegen sie ja durch die Akkumulation, weil die Niere ja nicht so gut funktioniert. Aber da muss man halt gucken, dass man da nicht zu sehr überdosiert. Im Idealfall bekommen die Patienten das Memantin zweimal täglich. Also, wenn die Niere jetzt gut ist, bekommen sie zwei mal 10mg in der Aufdosierung, wie es empfohlen ist. Aber die abendliche Gabe kann halt zu Schlafstörungen führen. Das Memantine kann zu motorischer Unruhe führen. Das beobachten wir immer wieder bei Patienten. Und deswegen ist ja dann auch die Empfehlung, es entweder auf 1-1-0, also morgens und mittags 10mg, oder sogar morgens in der kompletten Dosis von 20mg zu geben. Wobei auch das, also 20mg auf einmal, die Patienten ein bisschen unruhig machen kann. Zumindest zum Tagesbeginn in der ersten Tageshälfte. Und das ist das, was wir beobachten, vor allen Dingen bei den Patienten die 20mg kriegen und eine schlechte GFR haben. Also das beobachten wir da häufiger, da muss man wirklich ein Auge darauf haben.
Kai Gruhn
Die kardialen Nebenwirkungen treten nicht auf, also die QT-Zeit Verlängerung wie jetzt bei den Acetylcholinesterasehemmern?
Sebastian Baum
Nein also da muss ich auch noch mal sagen, wir haben ja über einen Rote-Hand-Brief gesprochen. Also wir beobachten sie kaum, diese QT-Zeit Verlängerungen. Da gibt es andere Substanzgruppen wo wir es viel häufiger sehen. Also ich kann mich kaum daran erinnern, das jemals überhaupt gesehen zu haben, muss ich ganz ehrlich gestehen. Also es kam mal sporadisch auch vor, aber das ist extrem selten. Da habe ich andere Substanzen im Kopf, die das viel häufiger machen, wie zum Beispiel die SSRIs.
Kai Gruhn
Beobachtest du Synkopen im Zusammenhang mit den Antidementiva?
Sebastian Baum
Seltener. Also wenn ich an Nebenwirkungen denke, also die EKGs machen wir, wir sehen auch zwischendurch auch mal Veränderungen aber es ist extrem selten. Was häufig sind halt die Magen-Darm Probleme oder die motorische Unruhe unter Memantine, die anderen Sachen treten wirklich sporadisch auf. Also auch was Synkopen betrifft, ist es ganz selten. Es kann natürlich auch ein Underreporting sein, weil allein schon Synkopen bei älteren Patienten festzustellen ist ja schon eine Schwierigkeit. Gerade bei Demenzpatienten, die ja gar nicht so gut mitarbeiten können, überhaupt die Diagnose eine Synkope stellen zu können. Ist es nicht so? Also ich bin ja kein Diagnostiker, ich bin ja nur der Apotheker, der guckt, dass die Medikamente nicht zu viel Schaden anrichten.
Kai Gruhn
Ich streite mich manchmal mit einem Kollegen, ob die Synkopen Antidementiva-assoziiert sein können (lacht), aber egal. Also meine Erfahrung ist auch eher, dass das eigentlich nie plausibel erklären werden konnte dadurch. Es gibt Patienten, die haben sogar zwei Antidementia. Das sehe ich immer mal wieder, nicht häufig aber ich sehe es immer mal wieder. Wie ist da deine Erfahrung? Also siehst du das auch schon mal? Was macht ihr mit solchen Patienten? Findest du das sinnvoll? Was sagen deine Kollegen dazu? Also wie ist eure Herangehensweise da? Würde man das standardmäßig empfehlen beide Stoffgruppen mal zu kombinieren?
Sebastian Baum
Also standardmäßig empfehlen würden wir das nicht, schon allein aus dem praktischen Grund, weil wenn wir es jetzt starten würden bei uns im Krankenhaus, wird es im ambulanten Bereich nicht fortgesetzt. Das mag vielleicht für Privatpatienten zutreffen, dass das im Einzelfall fortgeführt wird, aber bei den meisten Patienten würde spätestens im niedergelassenen Bereich dann die Therapie in der Regel beendet. Ich kann da jetzt auch keine Zahlen nennen, aber ich würde sagen, in 99 % der Fälle wird das nicht fortgesetzt. Da würde dann vor Ort derjenige, der die ambulante Weiterbetreuung durchführt, sich auf eins festlegen.
Kai Gruhn
Weil das von den Kassen nicht übernommen wird?
Sebastian Baum
Ja, da gehe ich mal ganz ganz stark von aus, dass das da begründet werden muss. Und ich denke mal, dass es dann das Budget sprengen würde. Auch das ist ja jetzt nicht ganz mein Steckenpferd im niedergelassenen Bereich, aber die Budgetierung ist ja schon ein erhebliches, relevantes Thema. Und wenn ich sehe, mit welchen Arzneimitteltricks gearbeitet wird, mit Halbierung und was auch immer, um das Budget zu halten, ich meine früher war es ja noch teurer als es heutzutage ist, kann ich mir nicht vorstellen das versucht wird, mit zwei Medikamenten eine Therapie durchzuführen, wo dann auch noch die Datenlage sehr dürftig ist. Ich sage jetzt auch nicht, das es nicht wirkt. Gerade was den Übergang von der mittel- bis zur schwergradigen Demenz angeht scheint auch eine duale Therapie nicht ganz schädlich zu sein oder möglicherweise auch förderlich zu sein. Aber wie gesagt, die Datenlage ist auch da sehr begrenzt, sodass man sicherlich nicht sagen kann, das braucht jetzt jeder Patient, um wirklich eine bessere Wirksamkeit und eine bessere Therapie zu bekommen. Davon sind wir sicherlich noch weit entfernt. Daher empfehlen wir es nicht. Wir setzen es jetzt auch nicht ab, es sei denn, es sprechen irgendwelche pharmakologischen Gründe dagegen, sodass ein Patient irgendwelche Nebenwirkungen hat. Aber wenn er damit kommt und damit zurecht kommt, dann wird es auch in der Regel fortgesetzt. Aber wir initiieren das nicht. Also ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir das in den letzten Jahren mal initiiert haben. Das kommt mal gelegentlich in der Gerontopsychiatrie vor, aber auch da sind die Patienten eigentlich eher damit gekommen und es wurde nicht im Krankenhaus gestartet. Weil man ja die Unterstützung aus dem ambulanten Bereich braucht. Wenn die es nicht weiter verordnen, brauchen wir uns den Stress ja auch nicht antun, zu probieren das einzudosieren.
Kai Gruhn
Du hast gerade das Absetzen angesprochen. Gibt es eigentlich Konstellationen, ich sag ich mal bei einem Patienten, der schwerstgradig dement ist, wo ihr sagt da nehmen wir einfach die Antidementiva raus, was will man da für eine Progressionverlangsamung erzielen? Gibt es das auch? Oder lasst ihr das laufen, solange der Patient das verträgt?
Sebastian Baum
Nein, da überlegen wir uns das auch. Auch weil wir ja immer gucken, wie die Lebenserwartung und die Lebensqualität des Patienten ist. Und eine Medikamenteneinnahme ist ja in der Regel eine Qualitätsverschlechterung. Also es muss ja auch irgendwie alles eingenommen werden. Man kann das Pflaster kleben, das macht es vielleicht ein bisschen einfacher, aber wir versuchen schon, wenn die Prognose sehr begrenzt ist, dann auch wirklich nur die Medikamente einzusetzen, von denen wir auch eine Wirksamkeit erwarten, sodass der Patient zumindest einen Benefit in irgendeiner Form davon hat. So ein schwerst dementer Patient, der immobil ist, wird keinen Benefit bezüglich der Erhaltung oder Verbesserung der Aktivitäten des täglichen Lebens haben. Gut, wenn ein Patient kognitiv sehr auffällig ist mit Aggressionen, da kann man es wieder noch begründen, dass man sagt ja, da kann man es vielleicht drin lassen. Aber es wird natürlich diskutiert und auch wieder abgesetzt. Alles, was ein Patient nicht braucht, und da gehören die Antidementiva dann auch dazu, das muss der Patient auch nicht kriegen, da macht es ja auch keinen Sinn. Also auch medizinisch ist es ja dann nicht vertretbar.
Kai Gruhn
Ja, absolut. Sebastian, ich danke dir. Es hat wieder großen Spaß gemacht, mit dir zu sprechen. Ich finde das immer auch spannend, deine Perspektive, deine Apothekerperspektive zu haben. Und wie gesagt, du bist jemand, der da einfach ganz nah dran ist an der geriatrischen Behandlungsseite. Und ja, vielen Dank für deine Zeit und ich hoffe, wir sprechen uns bald wieder.
Sebastian Baum
Ja, sehr gern. Hat mir auch sehr gefallen, war sehr kurzweilig und vor allem ich lerne ja auch was von dir. So, es ist ja nicht.
Kai Gruhn
(lacht) Ein Geben und Nehmen. Ja super, vielen Dank.
Sebastian Baum
Ja, danke auch.
Ende
Vielen Dank, dass du heute wieder zugehört hast und unser Gast gewesen bist. Wir hoffen sehr, dass dir dieser Beitrag gefallen hat und du etwas für deinen klinischen Alltag mitnehmen konntest. Wenn dem so sein sollte, dann wie immer gerne der Aufruf: Teile doch diesen Podcast mit deinen Kolleginnen und Kollegen, damit auch andere davon profitieren können. Und du darfst uns natürlich auch eine positive Bewertung bei Apple Podcasts hinterlassen. Wenn du mal Lust hast mitzumachen, denn wir verstehen uns als eine offene Fortbildungsplattform, dann bist du ganz herzlich eingeladen, dich zu melden unter kontakt@klinisch-relevant.de. Vielleicht gibt es ja ein Thema, das du ganz spannend findest und wo du dich besonders gut auskennst. Und dann würden wir sehr gerne mit dir sprechen. An dieser Stelle der Hinweis noch auf unsere Social-Media Kanäle und unsere Newsletter auf www.Klinisch-relevant.de. Und es gibt wieder neue Kurse auf unserer Fortbildungsplattform. Das Ganze ist natürlich nicht nur für Ärzte, sondern auch für Physiotherapeuten, für Pflegende, Ergotherapeuten und für Logopäden konzipiert. Beachte auch, dass du einen 5 € Gutschein bekommst, wenn du dich in unsere E-Mail Liste für Newsletter einträgst. Dann kannst du mit diesem Gutschein in der Fortbildungsakademie einkaufen. Da gibt es viele spannende Beiträge. Schau dich doch einfach mal dort um. Also ich wünsche dir jetzt eine gute Zeit und freue mich schon, wenn du beim nächsten Mal wieder einschaltest. Pass auf dich auf. Bleib gesund. Bis zum nächsten Mal. Ciao.